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Hahn im Korb.

Hahn im Korb.

Titel: Hahn im Korb. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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riesiges Ölgemälde, auf dem einige Fischer vor einem blutroten Sonnenuntergang ein Boot ans Ufer zogen, bedeckte eine ganze Wand. An der anderen prangte in der Mitte ein eindrucksvoller Kalender, ein Geschenk des Orthopädischen Instituts Santa Rita. Scimeni kam im Schlafanzug herein, bat um Verzeihung, daß er ihn so lange hatte warten lassen und sagte, er habe sich an diesem Tag nicht wohl gefühlt und auch keine Krankenvisiten machen wollen. Er schob die Schuld auf das Alter, das ihm langsam zu schaffen machte. Scimeni näherte sich seinem sechzigsten Geburtstag, er war lange in Amerika gewesen und hatte nach seiner Rückkehr um 1940 herum geheiratet. Die Tochter war erst spät geboren, und ein Jahr nach ihrer Geburt hatte er die Ehefrau verloren. Im Alter von vier Jahren war Carmela dann erkrankt. Scimeni hatte ein Vermögen ausgegeben, sie sogar in Kliniken aufs Festland geschickt, um Heilung für ihr Bein zu suchen. Doch auch vor diesen Schicksalsschlägen hatte der Doktor kein heiteres Gemüt besessen, er war ein wortkarger Mann und hatte nur wenige Freunde. Nicht einmal über seine zehn Jahre in Amerika wollte er sprechen. An seiner Stelle hatten andere das Maul aufgerissen – an bösen Zungen mangelt es ja nie –, und das vor allem nach Turi Santalucias Rückkehr. Doch am Ende verstummten die Gerüchte. Als die Amerikaner einmarschiert waren, hatte man Scimeni zum Bürgermeister gemacht, danach hatte Vasalicòs Bruder angefangen, ihn zu bekriegen, und das mit Erfolg: Scimeni hatte sich auf immer aus der Politik zurückgezogen.
      »Hast du dich gefragt, warum ich dich herbestellt habe?« kam der Doktor gleich zur Sache.
      Vito machte eine wegwerfende Handbewegung – fragen oder nicht fragen, er war nun mal da.
      »Ich habe dich kommen lassen«, fuhr Scimeni fort, »weil du es richtig eingefädelt hast.«
    Auf Vito, der bequem im tiefen Sessel saß, wirkten diese Worte wie ein Peitschenhieb. Er rückte von der Lehne ab und fragte sich, ob Scimeni in irgendeiner Weise auf die »Inwiefern?« fragte er.
    »Ich komme gleich auf den Punkt: Du besaßest ein Stück
    Land, das nichts abwarf; einen Weinberg, der deinen täglichen Weinbedarf deckte, mehr nicht; eine Handvoll Mandelbäume, mit deren Ertrag du gerade die Landarbeiter bezahlen konntest, die die Mandeln sammelten; dann das bißchen Getreide, das, wenn's hochkam, ausreichte, um denen vom Fiskus das Maul zu stopfen. Doch dann ist dir die Idee mit dem Hühnerstall gekommen, und das war wie ein Sechser im Lotto.«
      »Was heißt hier wie ein Sechser im Lotto!« winkte Vito ab und versank wieder im Sessel.»Wissen Sie, wieviel Unkosten ein Hühnerstall verursacht?«
    »Genau das wollte ich von dir hören.«
    »Und warum? Wollen Sie etwa auch einen aufmachen?«
      »Nein, nicht im Traum käme ich auf so eine Idee … ich meine auf die Idee, selbst einen aufzumachen. Deiner reicht voll und ganz. Du verkaufst ihn mir und kümmerst dich weiterhin um ihn.«
    »Ich will ihn nicht verkaufen, wozu sollte ich?«
      »Des Geldes wegen. Rechne die Sache durch und nenn mir deinen Preis.«
    »Aber was für ein Interesse haben Sie daran?«
      Carmela kam herein, servierte Vito den Kaffee und verließ das Zimmer so still, wie sie gekommen war.
    »Was für ein Interesse ich daran habe, das hast du gerade eben gesehen«, sagte Scimeni, »es ist wegen dieses armen, unglückseligen Geschöpfs. Die Apotheke habe ich schon verpachtet, aber sie wirft nichts ab. Carmelas Krankheit hat mich eine Stange Geld gekostet, und für die Krankenbesuche habe ich keine Kraft mehr. Doch ich habe noch ein paar Lire auf der Seite, wenig, doch ausreichend, um diesen Hühnerstall zu vergrößern. Bevor ich das Zeitliche segne, will ich sicher sein, daß Carmela eine sorgenfreie Zukunft hat.«
      »Sorgen bereitet er aber, der Hühnerstall«, sagte Vito. »Heute ist es eine Krankheit, morgen das Futter, das nicht in Ordnung ist, übermorgen sinkt der Eierpreis auf fünfzehn Lire …«
      »Trink deinen Kaffee, sonst wird er kalt«, drängte Scimeni ihn.
      Vito nahm die Tasse und trank. Scimeni betrachtete ihn, nach vorne gebeugt, die Arme auf die Beine gestützt. Es herrschte Schweigen, bis Vito schließlich sagte:
      »So aus dem Stegreif weiß ich nicht, was ich Ihnen antworten soll.«
    »Überleg es dir.«
    »Ich werde es mir überlegen.«
    »Bald?«
    »Bald.«
    »Bis morgen abend«, sagte Scimeni.
    Vito sah ihn völlig verdattert an.
    »Was heißt hier, bis morgen

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