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Hahn im Korb.

Hahn im Korb.

Titel: Hahn im Korb. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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sprach.
    »Auf diese Orangen war Mirabiles Bruder ganz versessen. Sie erinnerten ihn an seine Heimat. Jedesmal wenn unser Mann ihn in Deutschland besuchte, brachte er ihm zwei Kisten davon mit. Doch auf seiner letzten Reise vor zwei Wochen hat er es sich anders überlegt und die Kisten im Zug zurückgelassen, nachdem er sich zwei Orangen gegriffen hatte – genauso viele fehlten nämlich. Die beiden Orangen unseres Freunds glichen im Aussehen ganz und gar den anderen, doch sie waren nicht eßbar. Es waren Wachsorangen, die vollkommen echt wirkten, und in jeder von ihnen steckten einhundertfünfundzwanzig Gramm Heroin. In der anderen Kiste haben die Männer von der Bahn zwei von derselben Art gefunden.«
      Corbo konnte sich einen Pfiff durch die Zähne nicht verkneifen.
      »Mirabile«, sagte der Capitano, »hat sich nach dieser Rechnung ein Viertelkilo Stoff unter den Nagel gerissen.«
      »Und zum Schluß hat er ein Viertelkilo Blei in die Brust gekriegt«, meinte Corbo.
    »Es gab für ihn kein Entrinnen«, sagte Bartolini,
    »entweder wir oder sie. Und die hatten keine andere Möglichkeit, als ihn um die Ecke zu bringen: Reißt auch nur ein Glied der Kette, über die der kleinste Dealer irgendwo in weiter Ferne mit dem letzten Drogenkonsumenten verbunden ist – wie es in Mirabiles Fall war –, kann man von einem Kettenglied übers nächste bis zu den großen Fischen in Tanger oder Beirut gelangen. Deshalb habe ich vorhin diese Show abgezogen: Die Kerle da dürfen nicht den leisesten Verdacht haben, daß die Abteilung für Zoll- und Steuerkontrolle sich für sie interessiert. Unter dem Vorwand, etwas über den Verbleib des Fotoapparats in Erfahrung bringen zu wollen, werde ich Sie übermorgen wieder aufsuchen, und Sie werden mich über die neuesten Entwicklungen unterrichten.«
      »Zu Diensten«, ließ Corbo verlauten, und dieses Mal mit einem gewissen Respekt.
    »Da ist noch eine Sache, die ich Ihnen ans Herz legen möchte: Führen Sie Ihre Ermittlungen so durch, wie Sie es immer getan haben. Für den Fall, daß Sie die Mörder stellen, liefern Sie sich bitte kein Feuergefecht. Wir brauchen sie lebend.«
    »Ich werde mein möglichstes tun«, versprach Corbo.
    »Guten Appetit«, sagte Bartolini und erhob sich.
      »Gleichfalls«, erwiderte Corbo und merkte, daß ihm der schon vor fünf Minuten gänzlich vergangen war.

    Trotz der glühenden Sonne schlugen fünf Trommler aus Masàra, die knallbunte, im Nacken verknotete Kopftücher trugen, unbeirrt einen langgezogenen arabischen Trommelwirbel. Den ganzen Nachmittag und Abend würden sie so durch die Straßen und Gassen und über die Plätze ziehen, um das Fest am folgenden Tag anzukündigen. Das Dorf war um drei Uhr nachmittags in die dumpfe Lethargie verfallen, die der Südwestwind an manchen Tagen mit sich brachte, und bestimmt würden die Balkone am nächsten Tag mit einer Schicht aus rotem Wüstensand bedeckt sein. Vito hatte die Fensterblenden fest verriegelt, um sich gegen die große Hitze zu schützen, doch vergeblich versuchte er, Schlaf zu finden. Die Schuld dafür den Trommeln geben zu wollen, wäre zu banal gewesen. Er hatte sich bis auf die Unterhose ausgezogen, aber so klebten die Bettücher noch mehr an ihm und trieben ihn zum Wahnsinn; vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, mit Masino essen zu gehen, jetzt lag ihm etwas schwer im Magen. Die vom Felsen aus geangelten Meerbarben waren es wert gewesen, sie hatten richtig schön nach Algen geschmeckt, und außerdem hatte Catena ein besonderes Rezept, mit einer Soße aus Knoblauch und Petersilie, das, so Catena, auch einem heiligen Eremiten, der das Fastengelübde abgelegt hat, zum Verhängnis geworden wäre. Masino hatte wie üblich kräftig zugelangt – »Für diese Meerbarben könnte ich sterben!« –, und er selbst hatte nach und nach wieder Appetit verspürt. Beim Essen hatten sie nur wenige Worte gewechselt, keinem von beiden war danach zumute gewesen, frei von der Leber weg zu reden; daß etwas anders war als sonst, war nur daran zu erkennen gewesen, daß Masino ihn beharrlich zu überreden versucht hatte, doch bitte noch einen Fisch zu nehmen und ein weiteres Glas Wein zu trinken. Über die Vorkommnisse der Nacht jedoch wurde keine Silbe verloren. Mehr als der Wohlgeschmack der Meerbarben hatte ihm Masinos rücksichtsvolles Schweigen eine kleine Verschnaufpause verschafft und die Frage nach dem Warum, die wie der Scheinwerfer eines Leuchtturms in seinem Kopf aufblinkte und

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