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Hahn im Korb.

Hahn im Korb.

Titel: Hahn im Korb. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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abend?«
      »Ich muß eine Entscheidung treffen«, erklärte der Arzt und erhob sich, »und wenn ich mit dir nicht einig werde, versuche ich Montag früh ein anderes Geschäft abzuschließen.«
    Auf der Schwelle hielt Scimeni ihn am Arm zurück.
      »Hab keine Sorgen, was das Geld angeht, werden wir uns bestimmt einig werden, ganz in deinem Sinne.«
      »Das ist es nicht. Tatsache ist, daß ich an diesem Hühnerstall hänge.«
    »Wenn du mir bis morgen abend eine Antwort gibst«,
    sagte der Doktor, »bin ich bereit, dir das Doppelte deines Preises zu zahlen: die eine Hälfte für den Hühnerstall, die andere für den sentimentalen Wert. Davon abgesehen bezahle ich dir auch die Mühe für die Aufsicht.«
    Vito war wie vor den Kopf gestoßen.
    »Ist es Ihnen ernst?«
      »Hast du mich jemals Witze reißen hören? Und da ist noch etwas anderes, das mir gerade in den Sinn kommt. Wenn du dich nicht weiter um den Hühnerstall kümmern willst, dann sagst du es mir und machst Schluß. Du kannst dich einfach zur Ruhe setzen«, fuhr er fort, »denn mit dem, was ich dir zu zahlen bereit bin, kriegst du möglicherweise Lust, dein Dorf zu verlassen. Du läßt dir einen anderen Wind um die Nase wehen, und gleich wirst du dich zwanzig Jahre jünger fühlen.«
      »Ich werde es mir überlegen«, sagte Vito, der sich seit zehn Minuten wie auf einem anderen Stern vorkam. »Ich wünsche einen guten Abend.«
      »Bis morgen«, meinte der Doktor Scimeni und war sich seiner Sache sicher.
    Verwirrt stieg Vito langsam die Treppe hinunter, überdachte den Vorschlag des Doktors und machte noch im Hauseingang halt, um sich eine Zigarette anzuzünden. Irgend etwas an den Worten des Doktors war nicht koscher, davon war er fest überzeugt. Doch er wußte nicht, was es war. Bei all den Sorgen, die ich habe, sagte er sich, hat mir dieser Totengräber von Scimeni gerade noch gefehlt. In diesem Zustand überraschte Corbo ihn, der ihn im Vorbeigehen auf der Straße aus dem Augenwinkel erblickt hatte. Der Maresciallo breitete die Arme aus, stützte sich mit beiden Händen gegen die Türpfosten und kreuzte salopp die Beine. Vito kam sich vor wie im Gefängnis.
      »Was haben wir denn nur?« fragte Corbo. »Geht's uns nicht gut?«
      Das ist eine schöne Bescherung! dachte Vito und winkte ab: »Ich strotze vor Gesundheit.«
    »Immer weiter so«, wünschte Corbo ihm lächelnd.
    »Warum sind Sie dann zum Arzt gegangen?«
      »Er wollte mit mir reden. Und jetzt, wenn Sie gestatten, würde ich gerne dieses Haus verlassen. Oder muß ich Sie erst um Erlaubnis bitten?«
      »Du guter Gott im Himmel«, erwiderte Corbo und rührte sich keinen Zentimeter, »Sie sind völlig frei und können gehen, wohin und mit wem Sie wollen. Ich möchte Ihnen nur gern die Geschichte von San Gerlando ins Gedächtnis rufen. Kennen Sie die zufällig?«
    »Nein, und ich will sie auch nicht hören.«
      »Einen Augenblick nur. Also, der Heilige beschloß eines Tages, sich einem Drachen zu stellen, der die Bevölkerung in Todesangst versetzte und alle, die ihm über den Weg liefen, tötete und auffraß. Er ging zum Drachen und schlug ihm eine Wette vor: ›Ich binde dich mit einem meiner Haare fest‹, sagte er zu ihm, ›du aber fesselst mich mit so vielen Ketten, wie es dir beliebt. Wem es als erstem gelingt, sich zu befreien, der hat gewonnen.‹ Der Drache, der im Grunde ein Dummkopf war und sich nicht mit einem Heiligen hätte einlassen sollen, nahm die Wette an. Letztendlich befreite sich San Gerlando im Handumdrehen von den Ketten, während der Drache auf immer und ewig mit einem dünnen, unzerreißbaren Faden festgebunden war, und je mehr er sich bewegte, desto tiefer schnitt der Faden in sein Fleisch. Schöne Geschichte, nicht wahr? Hat sie Ihnen gefallen?«
    »Ja«, versetzte Vito, »aber was wollen Sie bloß mit diesem Märchen aus dem Marionettentheater?«
      »Mir würde ein Haar von Ihnen genügen, ein einziges«, antwortete Corbo nun ganz ernst. Er trat beiseite und forderte ihn mit einer ausladenden Handbewegung auf vorbeizugehen.

    Turi Santalucia wohnte in der Nähe der alten Eisenbrücke, an der Landstraße Richtung Puntagrande in einem Reihenhäuschen neben zehn anderen, die zwischen das Weiß der dahinterliegenden Mergelhügel und das Gelb des davorliegenden Strandes gequetscht waren. Das Haus von Santalucia war wie fast alle anderen von einem kränkelnden Garten umgeben – der Sand begrub gefräßig alles unter sich –, und als Vito

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