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Hahn im Korb.

Hahn im Korb.

Titel: Hahn im Korb. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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völlig trivial waren; er hielt sich einfach an die Vorkommnisse bei uns, brachte sie zu Papier, und heraus kamen dann haargenau unsere Geschichten, vielleicht ein wenig von seiner Phantasie beeinflußt, denn davon hatte er ja Unmengen.«
      »Gestatten Sie«, beharrte Contino, »das würde ja auch heißen, daß Leopardi melancholisch war, nur weil der liebe Gott im Himmel ihn mit einem Buckel auf die Welt hat kommen lassen.«
      »Ja, warum nicht? Warum nicht? Nehmen Sie mal den Carducci, mit dem der Rapisardi ebenfalls nichts am Hut hat, und sagen Sie mir, wann der jemals melancholisch gewesen ist. Der trank seinen Wein, aß seine Pasta und trieb's mit den Weibern!«
      »Ja, was ist dann mit Tano Simone?« hakte Contino nach und stellte den örtlichen Schuhmacher in den Glorienschein des literarischen Olymps. »Der hat einen Buckel wie ein Kamel und weiß nicht einmal, was das Wort ›Melancholie‹ überhaupt bedeutet.«
    »Jedenfalls ist es besser, wenn die Frau verrückt ist, als wenn sie dem Mann Hörner aufsetzt«, fiel Don Cecè Afflitto, der den Advokaten einfach nicht riechen konnte, bösartig ins Gespräch.
    »Was soll das heißen?« fragte dieser argwöhnisch.
      »Es heißt, daß Rapisardi mit Hörnern am Schädel starb, nicht mit denen der Verdammten, wie unser Dorfpfarrer es gern hätte, sondern als echter Hahnrei, und Giovanni Verga sei gedankt, dem Pirandello jedoch nicht.«
      Der Stern des stolzen catanesischen Dichters stürzte in der Wertschätzung der Klubmitglieder, denen diese Einzelheit bislang unbekannt gewesen war, wie ein Bleivogel mit gebrochenen Flügeln zu Boden.
      »Sie wollen mich bloß wieder in Rage versetzen«, sagte der Anwalt Sileci die Stimme erhebend. »Sie lassen keine Gelegenheit aus, mein Blut zum Kochen zu bringen.«
      »Verzeihen Sie, was juckt Sie denn die Frau von Rapisardi? War das etwa Ihre Schwester?«
      »Schwester oder nicht …«, begann der Rechtsanwalt, wurde aber von Vasalicò unterbrochen, der in einer Ecke des Salons die Zeitung La domenica del corriere las.
      »Ihr könnt sagen, was ihr wollt, aber für mich heißt der größte sizilianische Dichter Micio Tempio. Erinnert ihr euch an Der Götter liebster Zeitvertreib?«, und er sagte den ersten Vers auf.
      Die Anwesenden überhäuften ihn einer nach dem anderen mit Zitaten: Wenngleich ihre Ansichten über Literatur auseinandergingen, schmolz die Pornographie sie zu einer festen Einheit zusammen. Nachdem also dem Namen des Zirkels Gerechtigkeit widerfahren war – er nannte sich »Zirkel der Kultur und des Fortschritts« –, konnten sie ruhigen Gewissens zum nächsten Punkt übergehen und über Weiber reden.
    Vito hatte nicht ein Wort von all dem Geschwätz verstanden und bemerkte, daß die Standuhr kurz vor sechs anzeigte. Wie ein Blitzschlag fiel ihm die Verabredung mit dem Doktor Scimeni wieder ein, beinahe hätte er sie vergessen. Er war nur deshalb in den Zirkel gegangen, weil er nicht mehr wußte, wo er sich die Füße vertreten sollte, und so konnte er genausogut seine Zeit vergeuden und zum Arzt gehen. Apropos Zeit vergeuden: Er überlegte, daß ihm die Sache zeitweise wie ein Urlaub vorkam, eine Pause, die jemand eingeleitet hatte und die dieser Jemand auf irgendeine Weise auch wieder beenden mußte. Er erhob sich, grüßte mit der Hand in die Runde und ging. Im Vorzimmer mußte er zwangsläufig haltmachen – die Eingangstür klemmte und wollte nicht aufgehen –, und er hörte, wie Vasalicò laut rief: »Ach, der arme Vito!«, was eine Aufforderung war, über ihn herzufallen und ihn schlechtzumachen. Er versetzte der Tür einen Stoß, um nicht noch mehr hören zu müssen, und schon stand er draußen auf der Straße. Das Haus von Doktor Scimeni befand sich fast gegenüber dem Zirkel: Carmela machte ihm auf, ließ ihn im Wohnzimmer Platz nehmen, öffnete Glastüren und Holzläden – laute Klänge und Stimmen durchbrachen die Stille, die Trommeln waren zum Glück fern – und fragte ihn, ob er einen Kaffee wünsche. Als Carmela hinausging, fiel Vito auf, daß sie eine gute Figur hatte, und wegen des nachgezogenen Beins sah es so aus, als machte sie bei jedem zweiten Schritt einen Hüftschwenker. Er lenkte seine Gedanken auf etwas anderes, fragte sich, was Scimeni wohl von ihm wollte, und sah sich unterdessen um: Schwere, mit Stuckornamenten verzierte Möbel und ein schwarzgoldenes, niedriges Regal mit einer in die Marmorplatte gemeißelten Jagdszene standen im Zimmer; ein

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