Hahn, Nikola
zu stehen, schien er darauf zu hoffen,
dieses Zeremoniell schnellstmöglich hinter sich zu bringen.
Die
Gräfin wartete, bis das letzte Murmeln im Saal verstummt war, und lächelte.
»Meine hochverehrten Damen und Herren, liebe Freunde! Ich möchte Sie in meinem
Hause herzlich begrüßen und meiner Freude Ausdruck verleihen, daß Sie so
zahlreich erschienen sind, um mit mir meinen Geburtstag zu feiern. Obwohl eine
Dame in meinem Alter ihr Wiegenfest nicht mehr bejubeln, sondern besser
vergessen sollte.«
Als
sich die Heiterkeit auf ihren kleinen Scherz gelegt hatte, wandte sie sich
ihrem Begleiter zu. »Ganz besonders freue ich mich, daß ich Ihnen heute einen
seltenen Gast vorstellen darf. Drei Jahre lang habe ich versucht, meinen
kleinen Bruder zu einer Reise in seine Heimatstadt zu bewegen, aber ich mußte
erst vierzig werden, bis es mir gelang. Willkommen zu Hause, Andreas!«
Es
erhob sich dezenter Applaus. Andreas bedankte sich, sagte ein paar Worte und
war offenkundig froh, sich unter die Gäste mischen zu dürfen. Laura sah, daß er
zielstrebig auf Victoria Biddling zuging.
»Sie
müssen Polizeiassistentin Rothe sein.«
Laura
war so überrascht, die Gräfin plötzlich vor sich zu sehen, daß ihr die Worte
fehlten.
»Guten
Abend, gnädige Frau«, sagte Martin Heynel.
»Guten
Abend, Oberwachtmeister.« Es klang verächtlich.
Er
lächelte. »Ich bitte um Verzeihung, daß ich mich erboten habe, Fräulein Rothe
mangels vorhandener männlicher Alternativen zu begleiten.«
»Haben
Sie Dank für Ihre Einladung«, sagte Laura. »Ich kenne tatsächlich noch nicht
sehr viele Leute in der Stadt.«
»Der
Herr Oberwachtmeister hat sich also für Sie geopfert«, sagte die Gräfin
spöttisch. Sie musterte Lauras Kleid. »Mein Kompliment zu Ihrer ausgesuchten
Garderobe. Dürfte ich fragen, wer Ihr Schneider ist?«
»Meine
Logiswirtin hat mir das Kleid geliehen«, sagte Laura verlegen.
»So?
Ich würde behaupten, daß es aus der Werkstatt eines Präraffaeliten stammt.«
»Von
wem, bitte?«
Gräfin
von Tennitz lächelte. »Die englischen Vorläufer des Art nouveau, oder zu
deutsch: Jugendstil. Lassen Sie mich raten: Edward Burne-Jones? James
Whistler?«
»William
Morris«, sagte Laura.
»Tatsächlich?
Ihre Wirtin muß Sie sehr mögen. Morris' Kleider sind eine kostspielige
Angelegenheit. Zumal er keine mehr herstellen kann. Er starb vor acht Jahren.
Er war übrigens auch ein beachtenswerter Lyriker. Kennen Sie Das irdische
Paradies?«
»Nein,
leider nicht.«
»Sie
sollten zu einem meiner nächsten Lesungsabende kommen, Fräulein Rothe. Wir
sehen uns nachher sicher noch.«
»Frau von
Tennitz scheint Sie nicht zu schätzen«, sagte Laura zu Martin.
Er
zuckte die Schultern. »Lektion drei: Behandele eine Gastgeberin stets mit
ausgesuchter Freundlichkeit, auch wenn du sie am liebsten erwürgen würdest.«
Bevor
Laura etwas erwidern konnte, setzte die Tafelmusik ein, und die Gäste wurden in
den Speisesaal gebeten.
Der
Abend hatte von Anfang an unter keinem guten Stern gestanden. Richard kam spät
von der Arbeit, Flora wollte nicht ins Bett, und Vicki wurde mit ihrer Toilette
nicht fertig. Victoria hatte Kopfschmerzen und nicht das geringste bißchen
Lust, zu Cornelias Feier zu gehen. Um sie nicht zu düpieren, hätte eine Absage
allerdings einer sorgfältigen Begründung bedurft, und dazu fehlte ihr die
nötige Phantasie.
Die
Fahrt ins Westend verlief schweigend. Richard und Vicki sahen aus dem Fenster,
Victoria war mit ihren Gedanken bei Heiner Braun. Es tat ihr leid, daß sie ohne
ein versöhnliches Wort gegangen war, aber ein Tränenausbruch in seinem Wäschekeller
wäre doch zu peinlich gewesen. Im Grunde genommen war alles ihre Schuld. Er
hatte mit Richard mehr als zwanzig Jahre zusammengearbeitet. Daß er gegen ihn
Partei nahm, konnte sie nicht ernstlich erwarten.
Sie
dachte an Karl Hopfs Geschenk. Der Stein hätte gut zu ihrem Kleid gepaßt, und
sicher war Hopf enttäuscht, daß sie ihn nicht trug. Aber wie hätte sie
ausschließen sollen, daß er eine Bemerkung machte, aus der Richard falsche
Schlüsse zog? Vielleicht ergab sich im Laufe des Abends eine Gelegenheit, ihm
ihre Beweggründe zu erklären. Sie wollte auf keinen Fall eine weitere
Konfrontation mit Richard und war entschlossen, ihre eigenen Wünsche
hintanzustellen, wenn es half, die Mißstimmigkeiten zwischen ihnen zu
beseitigen.
Und
dann waren sie keine fünf Minuten im Saal, und sie mußte erfahren, daß in
Frankfurt die erste Frau in
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