Hahn, Nikola
den Polizeidienst eingestellt worden war! Obwohl
Richard wußte, wie sehr sie sich für diese Dinge interessierte, hatte er es mit
keinem Wort
erwähnt.
Daß er mit diesem Fräulein Rothe und ihrem Begleiter dienstlich nichts zu tun
hatte, glaubte sie ihm nicht, und der Gedanke, daß ihr Mann während seiner
unzähligen Überstunden mit der Polizeiassistentin all die Fragen erörtert
hatte, deren Beantwortung er ihr vorenthielt, war so verletzend, daß sie nur
mit Mühe ihre Fassung wahren konnte. »Warum hast du mir nichts von ihr gesagt?«
fragte sie, als sie weitergingen.
»Ich
hielt es für unwichtig«, entgegnete Richard.
»Wenn
du mich ohnehin zu nichts mehr brauchst, frage ich mich, wozu wir noch
verheiratet sind!« sagte sie wütend.
Vicki
verzog das Gesicht. »Mutter, bitte!«
Von der
Tochter diszipliniert zu werden, war zuviel. Wortlos ließ Victoria die beiden
stehen. Sie schaute sich nach Hopf um, aber er war nirgends zu entdecken. Statt
dessen sah sie ihre Schwester und ihren Schwager in die Halle kommen. Marias
mit Edelmarder appliziertes Kleid, ihr Brillantcollier, die mit Bändern
verzierte Frisur: Alles an ihr war zu üppig. Theodor trug wie die übrigen
Männer Frack und weiße Binde. Obwohl sein Haar anfing zu ergrauen, war er noch
immer ein gutaussehender und stattlicher Mann, während Maria von Jahr zu Jahr
mehr in die Breite gegangen war. Welche Vorwürfe sie sich gemacht hatte, die
beiden zu verkuppeln! Dabei schien ihre Ehe trotz aller Gegensätzlichkeiten zu
funktionieren. Besser jedenfalls als ihre eigene.
Victoria
sah Cornelia die Treppe herunterkommen und stutzte. Aber ihre Aufmerksamkeit
galt nicht ihrer Schwägerin, sondern dem Mann an ihrer Seite. Er hatte sie
offenbar auch gleich erkannt, denn nach Cornelias Ansprache kam er zu ihr.
»Guten Abend, Andreas«, sagte sie lächelnd. »Oder sollte ich Herr Hortacker
sagen?«
»Bitte
nicht, Fräulein«, er verbesserte sich, »Frau ...?«
»Biddling.«
Sie amüsierte sich über seinen ungläubigen Blick. »Hat Ihnen Cornelia etwa
nichts erzählt?«
»Keinen
Ton! Allerdings bin ich erst vor zwei Stunden angekommen. Unser Zug hatte
einen Maschinenschaden. Ist Ihr Mann auch da?«
Victoria
wies zum Saaleingang, wo Richard sich mit einem älteren Herrn unterhielt.
»Wer
ist denn die hübsche junge Dame neben ihm?«
»Meine
Tochter Vicki.« Victoria lächelte. »Es wäre mir ein Vergnügen, Sie miteinander
bekannt zu machen.«
Richard
schien sich ebenfalls zu freuen, Andreas Hortacker wiederzusehen. Sie
wechselten ein paar Worte, und Andreas versuchte, Vicki in das Gespräch
einzubeziehen. Ein Blick in das Gesicht ihrer Tochter genügte Victoria, um zu
wissen, daß es ihm nicht gelingen würde.
Sie sah
Karl Hopf zum ersten Mal, als sie zum Speisesaal gingen. Er unterhielt sich
mit Maria und Theodor und gab anscheinend eine Anekdote zum besten, denn Maria
lachte. Theodor flüsterte seiner Frau etwas ins Ohr. Ohne ein Zeichen von Eifersucht
oder Mißtrauen ließ er sie zurück und begrüßte zwei Offiziere. Warum konnte
Richard nicht genauso tolerant sein?
Hopf
begegnete Maria ehrerbietig, ja fast huldvoll, und sie genoß seine Bewunderung
mit sichtlichem Vergnügen. Victoria nickte ihnen zu, aber Hopf schien sie kaum
wahrzunehmen. Richards Miene zeigte ihr, daß es auch das beste war. Mit der
Platzkarte in der Hand ging sie die Tischreihen ab und ärgerte sich, daß ihre
Schwägerin sie und Richard in den letzten Winkel der Tafel verbannt hatte.
Nicht, daß sie besonderen Wert auf Cornelias Nähe gelegt hätte, aber den
Blicken der anderen Gäste war anzusehen, daß sie sich die Mäuler darüber zerreißen
würden, welchen Grund die Gräfin für diese Abstrafung haben mochte. Victoria
nickte Andreas zu, der neben seiner Schwester Platz nahm. Auch das Fräulein
Polizeiassistentin saß am Tisch der Gastgeberin. Allerdings schien Cornelia mit
deren Begleiter alles andere als glücklich zu sein.
»Einen
schönen guten Abend, verehrte, gnädige Frau! Das nenne ich aber eine glückliche
Fügung, daß wir das Vergnügen haben werden, als Tischnachbarn zu speisen.«
Victoria
bemühte sich um ein Lächeln, als sie dem Geschäftspartner ihres Vaters ihre
Hand hinhielt. »Eine glückliche
Fügung?
Gewiß, Herr von Brassbach.« Zu einer Zeit, als sie noch glaubte, mit ihrer
Schwägerin eine Freundschaft pflegen zu können, hatte sie ihr gegenüber
erwähnt, daß sie Meinolph von Brassbach nicht ausstehen konnte. Sie nahm Platz
und studierte
Weitere Kostenlose Bücher