Hahn, Nikola
Mordtat
irgendwie beteiligt ist, sich vermehrt haben, setzt die Polizei ihre
Nachforschungen auch nach anderen Richtungen eifrig fort. Diese polizeiliche
Tätigkeit geht unter strengster Geheimhaltung vor sich. Trotzdem wird manches
bekannt, doch ist in dem jetzigen Stadium der Angelegenheit eine Wiedergabe
dieser Einzelheiten nicht Sache der Presse, da sonst die Nachforschungen
beeinträchtigt werden können.
Aus
Limburg wird uns geschrieben, daß der infolge der Aufregung irrsinnig gewordene
Bureaugehilfe Neander heute Morgen in die Irrenanstalt Weilmünster verbracht
worden ist.
V ictoria hatte nicht allzuviel geschlafen, als sie am nächsten
Morgen das Haus verließ. Sie verzichtete auf Begleitung und fuhr mit einer
Droschke zum Römerberg. Die wenigen Meter bis ins Rapunzelgäßchen ging sie zu
Fuß. Lisa Zeus öffnete. »Herr Braun ist in der Waschküche. Am besten geh'n Sie
über'n Hof.« Am Brunnen standen zwei Frauen und plauderten. Victoria grüßte
und ging, ihre neugierigen Blicke ignorierend, zum Kellerabgang. Drei Stufen
führten hinab. Sie mußte den Kopf einziehen, als sie die niedrige Tür
passierte. Der Geruch von Sodalauge verriet, wo die Waschküche war. Heiner saß
vor einem dampfenden Zuber und seifte ein Hemd ein. »Du liebe Zeit! Wie kommen
Sie denn hier herunter?«
Sie sah
ihm an, wie unangenehm es ihm war, bei dieser Arbeit überrascht zu werden.
Offenbar hatte er nicht genügend Geld, eine Wäscherin zu bezahlen. Aber warum
half ihm seine Frau nicht?
»Helena
muß eine dringende Besorgung erledigen«, sagte er, als habe er ihre Gedanken
erraten.
»Ich
wollte Sie wirklich nicht stören, Herr Braun.«
Er wischte
sich die Hände ab. »Eine kleine Pause tut mir sicher gut.«
»Und
dann ist das Wasser kalt, und Sie müssen von vorn beginnen!« Victoria legte
ihr Cape ab und zog die Handschuhe aus. »Wir können uns genausogut beim
Arbeiten unterhalten.«
»Sie
werden sich Ihr Kleid ruinieren«, sagte er lächelnd.
»Ich
habe genug andere.« Sie nahm einen Stab und rührte die Wäsche um.
»Das
muß ja etwas arg Dringliches sein, das Sie zu mir führt, hm?«
Sie sah
ihn ernst an. »Ja, Herr Braun. Und ich habe niemanden sonst, mit dem ich
darüber sprechen könnte.« Sie war froh, daß sie etwas mit ihren Händen tun
konnte, während sie ihm von ihrem ersten Besuch bei Hopf erzählte und dem, was
danach geschehen war. »Wissen Sie, mit Karl Hopf konnte ich seit langem wieder
einmal über etwas anderes reden als über Kleider und Spitzendeckchen und all
diesen langweiligen Kram, über den sich Damen meiner Kreise stundenlang zu
ereifern pflegen. Erinnern Sie sich, als Sie mir das Magazin mit dem ersten
Abenteuer von Sherlock Holmes mitgebracht haben?«
»Wie
könnte ich das je vergessen!« sagte er mit einem Schmunzeln. »Ihr Mann hat mich
kurz und lang geheißen.«
»Richard
zieht nun mal Fakten dem Fiktiven vor. Ein oder zwei Geschichten hat er
trotzdem heimlich gelesen.« Sie lächelte. »Genauso, wie ich damals mit Ihnen
in der Fichardstraße disputiert habe, habe ich es mit Karl Hopf in Niederhöchstadt
getan. Nicht mehr, nicht weniger. Es wäre schlimm für mich, dürfte ich diese
Gespräche nicht mehr führen. Sie
kennen
Richard so lange. Bitte, geben Sie mir einen Rat, was ich tun soll.«
Er sah
sie nachdenklich an. »Auch, wenn es für Sie ein Opfer bedeutet: Im Moment
helfen Sie Ihrem Mann am besten, wenn Sie jeden Kontakt zu Herrn Hopf
vermeiden. Mindestens so lange, bis der Mord an Lichtenstein vollständig
aufgeklärt ist.«
»Aber
warum? Gibt es denn noch Verdachtsmomente gegen ihn?«
»Ich
glaube, ja.«
»Und
welche?«
»Das
kann ich nicht sagen.«
»Warum?«
»Ich
habe mein Wort gegeben.«
»Wem? Richard?«
Victoria spürte eine Enttäuschung, die körperlich weh tat. »Sie kannten die
Geschichte also schon.«
»Bitte?«
»Machen
Sie mir doch nichts vor! Richard hat mit Ihnen über mich und Hopf gesprochen.«
»Nur
ganz allgemein.«
»Und
danach haben Sie gemeinsam überlegt, wie die störrische Gattin zu
disziplinieren ist, was?«
»Nein.
Ihr Mann ist sehr besorgt und...»
Sie
legte den Stab weg, nahm ihr Cape und die Handschuhe. »Ich habe verstanden.«
»Bitte
gehen Sie nicht, Victoria.«
»Es ist
alles gesagt, oder?« Sie war nicht in der Lage, seine Antwort abzuwarten. Mit
Mühe schaffte sie es ohne Tränen aus dem Keller und am Brunnen vorbei auf die
Straße.
Als sie
nach Hause kam, gab Louise ihr ein Päckchen. Victoria riß das Papier auf.
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