Hahn, Nikola
Eine
Karte fiel heraus.
Goethe
sagt:
Spiegel
hüben, Spiegel drüben,
Doppelstellung,
auserlesen;
Und
dazwischen ruht im Trüben -
Als
Kristall das Erdewesen.
Ich
sage:
Sie
sollten die Dinge endlich selbst in die Hand nehmen, Detektivin! Ich freue mich,
Sie heute abend bei Cornelias Diner zu sehen. K. H.
In dem
Päckchen lag der Bergkristall. Er war in Gold gefaßt und spiegelte die Farbe
ihrer Hand.
Laura
hätte nicht gedacht, daß ihr die Einladung bei Gräfin von Tennitz solches
Kopfzerbrechen bereiten würde. Vorjahren war sie in Königsberg auf einem Ball
gewesen, und aus dieser Zeit stammte das Kleid, das sie aus dem Schrank nahm.
Es paßte noch, aber es war für ein junges Mädchen gemacht. Was würde Martin
Heynel sagen, wenn er sie in diesem Aufzug sähe?
Beim
Gedanken an ihn besserte sich ihre Laune sofort. Sie hatte sich verboten,
darüber nachzudenken, ob diese Liebe eine Zukunft haben könnte oder nicht. Sie
war glücklich, das allein zählte. Heute würden sie zum ersten Mal gemeinsam öffentlich
auftreten! Aber sicher nicht in diesem Kleid. Sie hängte es zurück und kramte
in einer Hutschachtel, in der sie ihren Notgroschen aufbewahrte. Sie würde sich
eine passende Garderobe leihen. Das hatte sie bei dem Galadiner, zu dem sie in
Berlin mit Philipp eingeladen war, auch gemacht. Sie lächelte. Mit dem nötigen
Abstand betrachtet, war ihre Liebe zu ihm bloß eine Schwärmerei gewesen, in
keiner Weise zu vergleichen mit dem Gefühl, das sie mit Martin verband. Und
doch hatte sie geglaubt, daß das Ende dieser Liebe das Ende ihres Lebens
bedeutete. Laura stellte die leere Schachtel zurück. Es war unvernünftig, sauer
erspartes Geld für ein Kleid auszugeben. Aber es war wunderbar, unvernünftig zu
sein.
»Sie
sind meine letzte Hoffnung«, sagte sie, als sie in die Küche kam.
Helena
bereitete das Essen zu. Heiner las Zeitung. »Für was?« fragte er.
»Ich
brauche die Adresse eines Kleiderverleihs.«
Er
lächelte. »Was haben Sie denn Schönes vor?«
Laura sagte
es ihm. Helena legte den Kochlöffel beiseite. »Ein Diner bei Gräfin von
Tennitz? Ich glaube, ich kann Ihnen aus der Bredouille helfen.«
Nichts
in ihrem Verhalten deutete darauf hin, daß sie noch vor zwei Tagen weinend um
den Brunnen gelaufen war. Laura folgte ihr in ein winziges Zimmer im ersten
Stock, in dem ein Kleiderschrank, ein rundes Tischchen und ein mit Samt bezogenes Canape rond standen.
Helena
nahm ein Abendkleid aus dem Schrank. Es war aus grüner Seide gearbeitet und von
zeitloser Eleganz. Laura strich über den mit stilisierten Blüten bedruckten
Stoff. »Woher haben Sie das?«
»Mein
Mann hat es mir vor dreißig Jahren geschenkt.« Auf Lauras erstaunten Blick
fügte sie hinzu: »Mein erster Mann. Er war Arzt und hat vehement gegen das
Korsett gekämpft.« Sie zeigte auf ihre schmale Taille. »Wie Sie sehen, hatte er
nur bedingt Erfolg. Wir lebten zwei Jahre in England. Das, was bei uns heute
Reformkleid heißt, gab es dort damals schon. Mit William Morris, der dieses
Kleid entwarf, hat mein Mann ganze Nächte über Sozialreformen debattiert. Ich
habe es nur ein einziges Mal getragen. Die Aufmerksamkeit war mir einfach zu
groß. Aber ich bin sicher, Sie sind mutiger als ich. Ich habe übrigens auch die
passenden Accessoires dazu.« Sie lachte. »Na, nun fragen Sie schon!«
Laura
spürte, wie sie rot wurde. »Was soll ich denn fragen, Frau Braun?«
»Vielleicht,
warum es eine Arztwitwe ins Rapunzelgäßchen verschlägt?« Sie holte Handschuhe
und einen Hut aus dem Schrank. »Hendrik war ein angesehener und gutverdienender
Chirurg, aber leider etwas leichtlebig. In jeder Beziehung.« Sie zeigte auf das Canape rond. »Sein geliebtes Louis-Philippe-Sofa, dieses Künstlerkleid
und ein Karton mit Liebesbriefen diverser Damen waren so ziemlich alles, was
mir nach zwölf Jahren Ehe blieb. Wie gut, daß ich dieses Haus erst nach seinem
Tod
geerbt habe.« Sie lächelte. »Wir wohnten in einer Villa im Grünen, und manchmal
sehne ich mich nach einem bißchen mehr Luft und Licht. Andererseits fand ich in
diesem schummrigen Gäßchen das Glück meines Lebens, und das läßt es mich dann
doch gernhaben.«
»Ihr
Mann ist wirklich ein sehr liebenswerter Mensch«, sagte Laura.
»O ja,
das ist er.« Sie nahm das Kleid. »Ich bügele es Ihnen schnell ein wenig auf.«
»Das
kann ich doch selbst tun!«
»Ach
was. Ich helfe Ihnen auch mit dem Haar.«
Martin
Heynel war auf die Minute pünktlich, und er sah Laura mit einem so
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