Hahn, Nikola
die Menuekarte. Man konnte von Cornelia halten, was man wollte,
ihre Diners waren erstklassig. Und wenn schon sonst nichts stimmte an diesem
Abend, wollte sie wenigstens das Essen genießen.
Laura
betrachtete die Sammlung von Messern, Gabeln und Löffeln rings um ihren Teller
und dankte Gott, daß Philipps Mutter ihr die grundlegenden Regeln einer
Diner-Tafel beigebracht hatte.
»Hatten
Sie angenommen, die Gräfin empfängt ihre Gäste mit Schmalzbroten in der Küche?«
feixte Martin Heynel.
»Für
einen geborgten Frack nehmen Sie Ihren Mund reichlich voll, Oberwachtmeister«,
entgegnete sie, darauf bedacht, daß es ihr Nachbar, ein altehrwürdiger Herr,
der sich als Professor Habelmilch vorgestellt hatte, nicht hörte.
Die
Tafel war perfekt gedeckt: die Monogramme auf den Tellern waren mittig
ausgerichtet, die Tellerränder schlossen exakt an der Tischkante ab. Tischtuch
und Servietten waren aus Seidendamast, glänzten zart und wiesen nicht das
kleinste Fältchen auf. Champagner-, Wasser- und Sherrygläser präsentierten
sich in Reih und Glied hinter Weißwein- und Rotweinkelchen; Salz-, Pfeffer-
und Senftöpfe waren ausreichend bemessen, der Tafelaufputz dezent gewählt.
Die mit
Früchten und Pralines bestückten Dessertaufsätze in der Mitte der Tische
verrieten Laura, daß das Diner nach russischem Service erfolgen, die Speisen
mithin ausnahmslos durch Diener aufgetragen und serviert werden würden.
Wenigstens war sie damit der Pflicht enthoben, irgendwelche Schüsseln oder
Platten weiterzureichen, wie es beim englischen Service gefordert wurde. Welche
Peinlichkeit, wenn der Inhalt statt auf dem Teller auf dem Frack des
Tischnachbarn landete, wie es ihr in Berlin mit einer Platte Austernpastetchen
passiert war!
Die aus
weißem Karton gefertigte Menuekarte lag rechts neben dem Gedeck. Am oberen
Rand war das Familienwappen derer von Tennitz aufgedruckt, ein in Rot und Grün
gehaltenes Fabeltier. Die Speisenfolge war in Französisch verfaßt, und Laura
lief das Wasser im Mund zusammen, als sie las, was sie allein an Vorspeisen
erwartete: Kanapees mit Kaviarauflage, eine Indische Schwalbennestersuppe, rote
Meerbarben und Schollenfilet nach Art der Provence. Als Hauptgericht wurde
Englischer Hammelrücken mit kalten und warmen Beilagen avisiert, als weitere
Zwischengerichte folgten gedämpfter Auerhahn, Hirschfilet, Kalbskopf nach
italienischer Art und Trüffelsalat. Ein Rumsorbet, gefüllte Taube,
Sahnekarotten und Edeldisteln auf flämische Art leiteten über zu den Entremets
de douceur: Pistaziencreme, Zitroneneis und gefrorene Mandarinen auf
Bäumen, was immer das auch sein mochte. Mit Englischen Käsebrötchen, dem
bereits eingestellten Dessert und Cafe schloß das Menue.
Laura
registrierte mit einiger Schadenfreude, daß Martin Heynel offenbar kein Wort
Französisch verstand. »Hatten Sie gedacht, daß Frau Gräfin in Frankfurter
Mundart servieren läßt, Oberwachtmeister?«
»Das
ist nicht im geringsten komisch!« zischte er.
Professor
Habelmilch schaute distinguiert, und Laura wollte Martin gerade die passende
Antwort geben, als ihr seine abfällige Bemerkung über das Citronengäßchen
einfiel. Offenbar steckte ihm seine Proletarierherkunft wie ein Stachel im
Fleisch. »Kaviarschnittchen«, flüsterte sie ihm zu, als Diener die ersten
Platten hereintrugen.
Zwischen
Schwalbennestersuppe und Meerbarben brachte Theodor Hortacker einen Toast auf
seine Schwester aus, Andreas Hortacker wartete bis zum Auerhahn. Zwei Bekannte
der Gräfin schlossen sich mit kurzen Reden an. Keiner von ihnen sprach länger
als fünf Minuten, und Laura dachte mit Schaudern an das Berliner Diner, bei
dem die Pastetchen nicht das einzige Unglück geblieben waren. Einer der Herren
hatte sich zu einer Festrede berufen gefühlt, die fast eine Stunde gedauert und
Gastgeber wie Geladene zur Verzweiflung getrieben hatte, da während des
Vortrags weder serviert noch gegessen werden durfte.
Als der
Kaffee serviert wurde, erhob sich ein Oberstleutnant. »Liebe Cornelia!
Verehrte Gäste! Erlauben Sie mir ein kleines Schlußwort.« Seiner Plazierung
nach gehörte er nicht zum engeren Umfeld der Gräfin, die vertrauliche Anrede
ließ gleichwohl vermuten, daß er sie näher kannte. Seine Stimme verriet, daß er
dem Wein mehr zugesprochen hatte, als ihm guttat.
»Der
Genießer sagt: Den Schluß eines jeden guten Diners muß der Kaffee bilden. Recht
hat er! Nun ist es allerorten bekannt, daß man im Ausland die Deutschen ob
ihres Kaffees
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