Hahn, Nikola
Eintreffen der Kriminalbeamten verfügt habe.
»Mhm«,
sagte Beck. »Ich sehe mir jetzt den Tatort an, und Kommissar Biddling wird Sie
eingehend zur Sache befragen.«
Richard
spürte, wie ihm das Blut zu Kopf stieg, aber er zwang sich, ruhig zu bleiben.
Es war nicht der richtige Ort, Führungskompetenzen zu erörtern. Er sah
Schutzmann Heinz an. »Gibt es im Haus einen Raum, in dem sich die Herren bis
zur Befragung aufhalten können?«
»Ich
wohne in der Dachetage«, sagte einer der Männer. Er stützte sich auf einen
Stock, und seine Stimme zitterte vor Nervosität. »Wenn Sie nichts dagegen
haben, könnten wir dort warten.«
»Einverstanden«,
sagte Richard. »Herr Heinz - Sie begleiten die Männer in die Wohnung von Herrn
»Neander«,
stellte sich der Mann vor.
»Dr.
Meder?« wandte sich Richard an einen korpulenten Mann, der eine Arzttasche in
der Hand hielt. Er nickte. »Sie kommen bitte mit Herrn Beck und mir.«
Kommissar
Beck verzog das Gesicht; wortlos folgte er Dr. Meder und Richard in den vierten
und größten Lagerraum. An den Wänden standen Klaviere und Flügel, dazwischen
befand sich ein schmaler Gang. Durch das Fenster konnte Richard die
Katharinenkirche sehen. Es kam so wenig Licht herein, daß man die
Gasbeleuchtung eingeschaltet hatte, aber selbst das reichte nicht, um den gesamten
Raum zu erhellen.
»Er
liegt bei dem Flügel am Kamin«, sagte Dr. Meder. »Und ist entsetzlich
zugerichtet.«
Richard
ging voraus. Vor dem Bechsteinflügel, den Flora unbedingt hatte haben wollen,
breitete sich eine Blutlache aus. Hermann Lichtenstein lag seitlich davon, die
Füße übereinandergeschlagen, um den Hals ein Seil, das Gesicht abgewandt. Sein
Hemd war zerrissen, die Hosentaschen waren nach außen gestülpt. Auf dem Flügel
flackerte eine Petroleumlampe. Auf dem polierten Holz schimmerte Blut. Einer
der beiden Kerzenhalter war abgebrochen.
»Letzte
Woche war er noch ganz«, sagte Richard.
Beck
bückte sich und betrachtete einen kleinen Schlüssel und einen Uhrenkompaß, die
neben einem umgestürzten Klavierhocker lagen. Er sah Dr. Meder an. »Haben Sie
die Lage der Leiche verändert?«
»Als
man mich rief, stand noch nicht fest, daß Herr Lichtenstein tot war. Ich mußte
einige Untersuchungen vornehmen.«
»Welche?«
»Das
Herz pulsierte nicht mehr, und die Augenprobe blieb erfolglos, mithin war der
Tod eingetreten.«
Kommissar
Beck deutete auf das zerrissene Hemd. »Waren Sie das?«
»Nein«,
sagte Dr. Meder.
Richard
sah an dem Toten vorbei zum Fenster. »Können Sie etwas über den Todeszeitpunkt
sagen, Doktor?«
»Da die
Leiche trotz des großen Blutverlusts noch warm war, als ich eintraf, ist es
wahrscheinlich, daß der Tod erst kurz zuvor eintrat.«
»Was
keinerlei Rückschluß auf den Tatzeitpunkt zuläßt«, konstatierte Beck. Er
zeigte auf den Kopf des Toten. »Es sei denn, Sie sagen mir, wie lange man mit
solchen Verletzungen überleben kann.«
»Ich
vermute, nicht sehr lange.«
»Und
was heißt das in Stunden und Minuten ausgedrückt?«
Richard
fuhr mit der Hand über die Augen. Er sah sich mit Lichtenstein die neuesten
Gerüchte über den Russisch-Japanisehen Krieg erörtern, während Victoria und
Flora Instrumente anschauten.
«Die
Lage wird immer verworrener. Selbst die russische Kriegsleitung in Port Arthur
scheint nicht zu wissen, oder wenigstens tut sie so, wo die Japaner
anzugreifen beabsichtigen.«
»Angeblich
hat der Stellvertreter von Admiral Alexejew verlauten lassen, daß sie eine
Landung in Tschingwantao vorbereiten.«
»Ich
will das hier!« sagte Flora.
»So
genau kann ich mich nicht festlegen«, sagte Dr. Meder. »Aber Lichtensteins
Auslaufer, Herr Schick, meinte, daß er nicht einmal eine Stunde lang weg war,
und daher vermute ich...«
»Das
Schlußfolgern überlassen Sie mir«, unterbrach Beck. »Wie und wo hat die Leiche
gelegen, als Sie eintrafen?«
Richard
bemühte sich vergeblich, dem Gespräch zu folgen.
Lichtenstein
lächelte. »Das ist ein Bechsteinflügel, gnädiges Fräulein.«
»Na
und?«
»Ein
solches Instrument ist nicht eben billig«, sagte er schmunzelnd.
»Ich
möchte ihn trotzdem haben«, sagte Flora.
»Von
einem Flügel war nicht die Rede«, sagte Richard.
»Aber
Großpapa würde bestimmt
»Wir
sollten ihn zumindest vorher fragen, Liebes«, sagte Victoria.
»Du
bekommst ein Klavier oder gar nichts«, sagte Richard.
Flora
stiegen Tränen in die Augen. Lichtenstein zwinkerte ihr zu. »Wetten, daß ich
ein Piano für dich habe, das
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