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Hahn, Nikola

Hahn, Nikola

Titel: Hahn, Nikola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe von Kristall
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amüsiert zu. »Das werte ich als hoffnungsvolles Zeichen.«
    »Das
sieht mein Chef sicher anders.« Er küßte sie. »Aber so grimmig kann er gar
nicht schauen, als daß ich auf das Vergnügen verzichtet hätte. Bitte warte
heute abend nicht auf mich.«
    Victoria
nickte. Als er gegangen war, ließ sie sich mit einem wohligen Seufzer ins Bett
zurückfallen. Warum konnte es nicht immer so zwischen ihnen sein? Sie lächelte.
Vermutlich hatte sie diese Versöhnung Heiner Braun zu verdanken. Trotzdem: Sie
mußte es akzeptieren, daß er Richards Vertrauter war, nicht ihrer. Es war
unredlich gewesen, ihn zwischen die Stühle zu zwingen. Nachher würde sie ihm
einen Brief schreiben und sich entschuldigen. Und endlich die Sache Hopf in
Angriff nehmen! Wenn Richard einen Unschuldsbeweis wollte, sollte er ihn haben.
Mit Schwung warf sie die Decke zurück und stand auf.
    Vicki
und Flora saßen schon am Tisch, als Victoria eine halbe Stunde später ins
Eßzimmer kam. »Ich fahre nachher mit Großpapa in die Stadt!« sagte Flora
freudestrahlend.
    »Das
ist schön.« Victoria setzte sich. Wenn sie Richards Argumente widerlegen
wollte, mußte sie zunächst wissen, was er Karl Hopf überhaupt vorwarf. Sie
würde mit Hopf reden müssen, und zwar bald. Es fragte sich nur, wie sie das am
klügsten anstellte.
    »Du
hörst mir gar nicht zu, Mama!«
    Victoria
schrak zusammen. »Was?«
    »Großpapa
will mir ein Fahrrad kaufen!«
    »Das
ist schön, ja.«
    Vicki
verzog das Gesicht. »Ich dachte immer, ohne Fleiß kein Preis.«
    »Es tut
mir leid, daß wir gestern abend so zeitig gehen mußten«, sagte Victoria. Sie
lächelte. »Ich kannte Andreas Hortacker schon, als er noch ein Junge war.«
    »Er ist
ein ziemlich langweiliger Mensch.«
    Tessa kam
herein und gab Vicki einen Brief. »Der Bote sagt, es sei dringend, gnädiges
Fräulein.«
    Vicki
stand auf. »Ihr entschuldigt mich?«
    Victoria
sah ihr überrascht hinterher. Von wem bekam ihre Tochter plötzlich eilige
Botschaften?
    »Begleitest
du uns, Mama?« fragte Flora.
    »Wohin?«
    »Ich
hab' dir doch gerade gesagt, daß Großpapa mir ein Fahrrad schenken will!«
    »Fahrt
ihr mal. Ich habe zu tun.«
    Nach
dem Frühstück klopfte Victoria an Vickis Zimmer. Ihre Tochter lag auf dem Bett
und blätterte in einem Buch. »Was liest du denn Schönes?«
    »Du
willst wissen, was in dem Brief stand, oder?«
    »Mütter
sind eben neugierig.«
    »Martha
Kamm lädt heute nachmittag zum Tee und erwartet Nachricht, ob ich kommen kann.
Erlaubst du es?«
    Victoria
nickte. »Ich glaube, Andreas Hortacker...«
    »Wir
trinken einen Kaffee zusammen, wenn er kommt. Zufrieden?«
    »Du
solltest ihm eine Chance geben.«
    Sie
klappte das Buch zu. »Wir werden sehen.«
    In der
Bibliothek war es wohlig warm, im Kamin knisterte das Feuer. Auf dem Tisch lag
Hopfs Päckchen. Victoria nahm den Kristall heraus. Eine kleine Aufmerksamkeit
eines Freundes. Nichts weiter. Richard mußte das einsehen! Sie befestigte den
Stein an der goldenen Kette, die sie von ihrem Vater zu Weihnachten bekommen
hatte; er fühlte sich kühl an auf ihrer Haut. Sie legte Holz nach und sah dem
Spiel der Flammen zu. Das Geheimnis des Geheimnisses ist, daß die Lösung in
ihm selbst verborgen liegt. Du mußt bloß nach der richtigen Farbe suchen. Welche
Farbe mochte die Wahrheit haben? Und welche die Lüge? Victoria setzte sich an
ihren Schreibtisch und begann einen Brief an Heiner Braun, aber ihr fielen
nicht die richtigen Worte ein. Nach dem dritten Versuch gab sie auf. Sie holte
ihre Tagebücher aus dem Geheimfach und blätterte darin.
    15.
Juni 1882
    Was für
ein schlimmer Tag! Marias Freundinnen waren da. Dumme Hühner allesamt! Und ich
mußte den ganzen Vormittag an dieser schauderhaften Decke sticken. Zum Glück
kann ich ja meine Gedanken auf die Reise schicken, während ich
    brav
lächle. Genauso wie gestern, als dieser eingebildete Kommissar Biddling wieder
hier war. Ein schrecklicher Mensch! Und später hat Papa mich ausgeschimpft,
weil ich David verprügelt habe. Dabei hatte der Dummkopf die Backpfeifen mehr als
verdient. Aber das Allerschlimmste ist, daß Papa von mir verlangt, Theodor zu
heiraten! Nie im Leben werde ich das tun! Das habe ich bei meinem Spiegelbild
geschworen: Wenn ich überhaupt jemals heirate, dann ganz gewiß nur einen Mann,
den ich mir selbst aussuche!
    Nein,
sie hatte Richard nicht gemocht. Ein preußischer Beamter reizte zum Widerwort,
nicht dazu, ihn zu lieben. Wie sehr sie sich getäuscht hatte! Sie

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