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Hahn, Nikola

Hahn, Nikola

Titel: Hahn, Nikola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe von Kristall
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Laura ertappte sich dabei, daß sie sich nach einem vertrauten
Blick, einer zufälligen Berührung sehnte. Sie haßte sich dafür. Am Samstag gab
er ihr einen Brief. »Verdacht der Verwahrlosung. Das fällt wohl in Ihren
Bereich.«
    Laura
las die wenigen Zeilen. Es ging um einen Säugling in der Kornblumengasse, der
offenbar von seiner Mutter so grob
    vernachlässigt
wurde, daß sich die Nachbarn bemüßigt fühlten, eine Mitteilung darüber zu machen.
Sie sah Martin Heynel an. »Würden Sie mich begleiten?« »Warum nicht?«
    Die
Wohnung in der Kornblumengasse war ein verlaustes Loch. Vor einem zersprungenen
Fenster saß eine apathisch wirkende alte Frau. In dem einzigen Bett schlief
ein junger Bursche, zwei kleine Mädchen spielten im Unrat. Der Säugling lag in
einem Korb, der vor Schmutz starrte. Die Augen des Kindes waren verklebt, sein
Atem ging rasselnd. Die Milch in seinem Fläschchen war sauer. Eine unfrisierte
Frau mit dickem Bauch und zerrissener Schürze, offenbar die Mutter der Kinder,
fragte mit keifender Stimme, was sie wollten. Laura sagte es ihr und wurde übel
beschimpft. »Das Kind muß sofort hier heraus!« erklärte Laura und erntete
einen weiteren Schwall häßlicher Worte.
    »Unser
Bübchen darf in einen bunten Garten«, sagte die alte Frau.
    »Bitte?«
fragte Laura.
    »Du
schwätzt Blödsinn, Mutter!« sagte die Dicke.
    »Der
Mann hat versprochen, das Bübchen darf in den bunten Garten. Und schreiben und
lesen wird es können und weiße Kleider tragen, und ein kleiner König wird er
sein.«
    »Welcher
Mann?« fragte Laura.
    »Die is
plemplem«, sagte die Dicke.
    »Der
Onkel Fritz hat das aber gesagt!« bekräftigte das ältere Mädchen. Es hatte ein
löchriges Hemd an und war höchstens fünf Jahre alt.
    »Welcher
Onkel Fritz?« wollte Laura wissen.
    »Er hat
mir ein Bonbon gegeben, wenn ich lieb war. Aber manchmal war er auch böse.«
    »Halt's
Maul!« keifte die Dicke.
    Martin
Heynel schob Laura zur Tür. »Wir werden das Nötige veranlassen.«
    »Aber
ich finde...«
    »Wir gehen.
Auf Wiedersehen.«
    »Was
soll das?« fuhr Laura ihn draußen an. »Das Kind ist in einem erbärmlichen
Zustand! Wir müssen
    »Wollen
Sie die ganze Altstadt ausquartieren?«
    »Ich
werde...«
    »Jetzt
hören Sie mal zu, Polizeiassistentin! Ich bin Ihnen gegenüber weisungsbefugt,
und ich ordne an, daß wir zurück ins Polizeipräsidium gehen.«
    »Aspetti
un momento«
    Laura
fuhr erschrocken herum. Der Mann vor ihr schien aus dem Nichts aufgetaucht zu
sein. Trotz des dunklen Teints hatte er eine ungesunde Gesichtsfarbe. Sein
strähniges schwarzes Haar hatte vermutlich seit Monaten keinen Kamm mehr gesehen,
seine Kleider schlotterten um seinen dürren Leib und stanken.
    »Mach,
daß du verschwindest, Comoretto«, fuhr Martin Heynel ihn an.
    »Ich
nix haben Geld, werter Herr Oberwachtmeister. Nur ein kleiner Groschen, Herr
Oberwachtmeister. Viele Tiere sind im Turm. Ich bitte Sie.« Er streckte ihm
seine schmutzige Hand hin. "Hai la monetina?«
    Martin
Heynel drückte ihm eine Münze in die Hand. »Und jetzt hau ab!« Der Mann grinste
und verschwand so lautlos wie er gekommen war.
    Laura
sah ihm hinterher. »Wer war das?«
    »Comoretto,
die Kanalratte«, sagte Martin verächtlich.
    »Und
woher kennst du ihn?«
    »Wer
seine Wurzeln im Dreck ausbreiten muß, kommt unweigerlich damit in Berührung.«
    »Was meinte
er mit den Tieren im Turm?«
    »Der
hat nicht alle Tassen im Schrank. Vergiß ihn.«
    Eine
Straße weiter blieb Martin Heynel vor einem Fachwerkhaus stehen und schlug
gegen die Tür. Mit einem Fluch wurde geöffnet. »Ich habe einen Auftrag für Sie,
Doktor. Kornblumengasse 7, der kleine Waldhaus.«
    »Da war
ich gestern erst.«
    »Dann
gehen Sie eben heute noch mal hin, verdammt!«
    »Und
wer zahlt das?«
    Heynel
zeigte auf Laura. »Das regeln Sie am Montag mit Fräulein Rothe.« Der Arzt
brummte etwas vor sich hin und schlug die Tür wieder zu.
    »Er sah
nicht besonders vertrauenserweckend aus«, sagte Laura beim Weitergehen.
    »Sie
können selbstverständlich auch den Direktor einer Privatklinik hinschicken.« Sie
wollte etwas sagen, aber er legte ihr die Hand auf den Mund. »Wir wissen beide,
daß wir auf Dauer nicht dagegen ankommen, oder?«
    Bei
ihrer Rückkehr aus Niederhöchstadt sah Victoria Andreas Hortacker aus dem Haus
gehen. Er sah nicht glücklich aus. Sie ging zum Zimmer ihrer Tochter und
klopfte. Vicki saß am Fenster und stickte.
    »War
Andreas bei dir?«
    »Ja.
Warum?«
    »Darf
man fragen,

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