Hahn, Nikola
aus der kleinen
Anna und den anderen Pfleglingen geworden, wenn er und Helena leibliche Kinder
hätten haben können? Die Dinge, vor denen sie uns glauben schützen zu
müssen. Wußte Helena am Ende mehr über ihre Krankheit, als ihr Mann ahnte?
Und Martin? Wollte er sie auch schützen? Vor einem Leben, wie es seine
Schwester und Käthe Heusohn führten? Oder selbst Helena? Mein Vater war dumm
genug, die falsche Frau zu heiraten. War es denn so
unbegreiflich,
daß er nichts mehr fürchtete, als zu enden wie er?
Laura
betrachtete ihre Handgelenke, strich über die hellen Stellen. Keine
Erinnerung mehr an irgendwas. Hatte sie sich nicht genau das gewünscht, als
sie das Messer nahm? Sie sah den verrückten Bettler vor sich und die alte Frau
in der Kornblumengasse, die sich in einen bunten Phantasiegarten flüchtete.
War es nicht besser, sie lebten in ihren Träumen als in der Wirklichkeit? Sie
lächelte. Und die Kleine in ihrem zerrissenen Hemdchen spielte in all dem
Schmutz und freute sich, wenn sie von ihrem Onkel ein Bonbon geschenkt bekam.
Laura stutzte. Bonbon? Onkel Fritz? Der Gedanke war so ungeheuerlich, daß sie
augenblicklich alles andere vergaß.
Richard
gab Louise Mantel und Hut und ging zum Zimmer seines Schwagers. Er mußte
mehrmals klopfen, bis er Antwort bekam. David Könitz saß vor dem Kamin und
starrte in die schwarze Asche. Er trug eine modisch geschnittene Seidenweste
und ein aufdringlich buntes Hemd. Auf einem Bugholztischchen standen eine
halbvolle Flasche Cognac und ein leeres Glas.
»Ich
muß mit dir reden«, sagte Richard.
»Geht's
nicht morgen?«
»Nein.«
David
Könitz wies mit schwammiger Geste auf einen Sessel.
Richard
setzte sich. »Was wollte Fritz Wennecke von dir?«
David
starrte ihn einen Moment an und seufzte. »Ich habe Schulden, und ich weiß nicht,
wie ich sie bezahlen soll.«
»Beantworte
bitte meine Frage.«
»Er hat
mich erpreßt.«
»Womit?«
»Es
gibt Unregelmäßigkeiten in der Kassenabrechnung.«
»Und
woher sollte das einer wie Fritz Wennecke wissen?«
Er
wußte es eben.«
»Wieviel?«
»Zum
Schluß wollte er zehntausend Mark. Deshalb mußte ich mir Geld bei Lichtenstein
leihen.«
»Das
glaubst du doch selbst nicht! Wennecke konnte weder lesen noch schreiben! Wie
hätte er dir die Betrügereien beweisen wollen?«
David
deutete auf die Flasche. Richard schüttelte den Kopf. »Sag mir endlich die
Wahrheit.«
Er
schenkte sich ein und leerte das Glas in einem Zug. »Es gibt Bilder. Die sind
das Geld wert.«
»Welche
Bilder?«
»Photographien,
die mich... in prekärer Lage zeigen.«
»Aus
der Laterna Magica?«
David
Könitz lachte verzweifelt. »Oh, es sind künstlerisch ansprechende Aufnahmen.
Und sehr eindeutige.«
»Du
bist nicht verheiratet. Warum kann dich Wennecke mit Photographien erpressen?«
Er sah
auf seine Hände. »Ich bin... anders.«
»Wie
anders? Herrgott, David! Sag, was los ist!«
»Ich
bin ein Urning.«
Richard
sprang auf. »Verflucht noch mal! Wie konntest du so dumm sein, dich dabei
photographieren zu lassen?«
»Ich
war betrunken und... beschäftigt.«
»Wer
hat die Bilder gemacht?«
»Ein weitläufiger
Geschäftsfreund.«
»Wie
heißt er?«
»Ich
habe mit ihm gesprochen. Er hat mit den Erpressungen nichts zu tun.«
»Den
Namen, David!«
»Karl
Hopf. Der Hundezüchter aus Niederhöchstadt.«
Richard
starrte ihn an. Was hatte Heusohn gesagt? Vielleicht hat Herr Hopf noch ganz
andere Photographien gemacht und damit irgendwelche Leute erpreßt. »Warum
bist du so sicher, daß Hopf nichts mit der Sache zu schaffen hat?«
»Er war
so entsetzt, als ich ihm davon erzählte, daß ich mir nicht vorstellen kann, daß
er mich angelogen hat. Im übrigen
haben
wir beide ein Interesse daran, daß die Bilder nicht in falsche Hände geraten.«
Richard
schluckte. »Ist Hopf etwa auch ...?«
David
schüttelte den Kopf. »Soweit mir bekannt ist, photographiert er auch anderes.«
»Allerdings«,
sagte Richard sarkastisch. »Wennecke hat in der Rosengasse verkehrt. Wie kommt
er in den Besitz von Photographien aus der Laterna Magica?«
»Ich
weiß es nicht.«
»Er
kann das unmöglich allein gemacht haben.«
»Wennecke
überbrachte die Forderungen, und er holte das Geld ab. Die Briefe waren immer
versiegelt. Ich mußte die Umschläge mit dem Geld ebenfalls versiegeln. Ich
habe keine Ahnung, wer dahintersteckt.«
Richard
fuhr sich übers Gesicht. »Warum hast du mich angelogen?«
»Du
weißt selbst, daß ich dafür ins Gefängnis
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