Hahn, Nikola
können.
»Die
Angeklagten sind nach dem Wahrspruch der Herren Geschworenen des Mordes in
einheitlichem Zusammentreffen mit schwerem Raube schuldig und nach den
gesetzlichen Bestimmungen mit demjenigen Strafmaße zu bestrafen, mit dem das
schwere Verbrechen bedroht ist, nämlich mit dem Tode. Zugleich ist auf
dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt worden; auch waren den
Angeklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.«
Zustimmendes
Gemurmel auf den Zuschauerrängen, das sofort erstarb, als der Richter zur
Geschworenenbank sah.
»Meine
Herren Geschworenen! Wir sind nunmehr am Schluß unserer Verhandlungen
angelangt, und ich habe Ihnen für Ihre treue Mitarbeit meinen herzlichen Dank
auszusprechen.« Sein Blick wanderte zu Groß und Stafforst. »Ihnen aber, den
Angeklagten, möchte ich ans Herz legen: Schließen Sie Ihre Rechnung auf Erden
ab, und bitten Sie diejenigen, die Sie so schwer gekränkt haben, die
hinterlassene Witwe und die Kinder des Ermordeten, demütig und wieder demütig
um Verzeihung. Ich möchte mit dem Wunsche schließen: Möge niemals mehr dieser
Saal eine ähnliche Tat zur Aburteilung sehen! Die Sitzung ist geschlossen.«
Schutzmänner
nahmen die Angeklagten in ihre Mitte. Bruno Groß hatte den Kopf erhoben; in
seinen Augen lag Hochmut. Friedrich Stafforst war in sich zusammengesunken. Als
die Beamten ihn anfaßten, wimmerte er: »Nein! Bitte nicht.« Die Männer zogen
ihn hoch, und er sackte zwischen ihnen zusammen. Lichtensteins Witwe schenkte
den verurteilten Mördern keinen Blick.
»Ich
habe mit meiner Mutter gesprochen. Sie können sie besuchen, wenn Sie möchten«,
sagte Paul Heusohn, als er mit Richard den Saal verließ. Richard nickte und
ging zu Victoria, die vor den Lichthöfen wartete.
»Ich
bin froh, daß es endlich vorbei ist«, sagte sie.
»Ja«
»Kommst
du mit nach Hause?« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe noch zu tun.« »Du weißt,
was du versprochen hast, oder?« sagte sie traurig und ging.
Richard
war schweißgebadet, als er vor Käthe Heusohns Wohnung ankam, aber die
Temperatur im Flur war nichts gegen die Hitze, die ihm beim Betreten der Stube
entgegenschlug. Käthe Heusohn stand am Herd und rührte in einem Topf. Sie trug
eine geflickte Schürze über einem dunklen Kleid. Ihr Gesicht war blaß. Annika
saß vor dem offenen Fenster und fädelte Perlen auf. »Guten Abend, Herr
Biddling«, begrüßte sie ihn lachend.
»Guten
Abend, Annika«, sagte Richard. Er sah Käthe Heusohn an. »Ihr Sohn sagte mir,
daß es Ihnen besser geht?«
Sie
legte den Kochlöffel weg. »Ja. Nehmen Sie bitte Platz, Herr Kommissar.«
»Ich
hab' ein neues Lied gelernt«, sagte Annika. »Darf ich's Ihnen vorsingen?«
»Sicher«,
sagte Richard lächelnd.
«Auf
der Zeil bei Lichtenstein brachen Groß und Stafforst ein, sie nahmen einen
Kilostein und schlugen ihm den Schädel ein!«
»Annika!«
rief Käthe Heusohn entsetzt.
»Aber
das singen doch alle Kinder, Mama.«
Richard
winkte sie zu sich. »Sieh mal, Annika: Der Herr Lichtenstein war ein braver
Mann, und Herr Groß und Herr Stafforst haben schlimme Sachen mit ihm gemacht.
Frau Lichtenstein ist jetzt ganz allein, und wenn sie dein Lied hören würde,
wäre sie sehr traurig.«
Sie
senkte den Kopf. »Ich hab's nicht böse gemeint. Und ich sing's bestimmt nicht
wieder.«
»Ich
habe mit deiner Mutter etwas zu besprechen. Würdest du...«
»Au
fein! Ich geh' in den Hof spielen!« Sie warf die halbaufgezogene Perlenkette
in eine Schachtel und lief aus dem Zimmer.
»Sie
ist ein aufgewecktes Mädchen«, sagte Richard.
»Und
reichlich vorlaut! Bitte entschuldigen Sie ihre Ungezogenheit.«
»Ach
was. Sie wissen, warum ich gekommen bin?«
Sie
nickte müde und setzte sich zu Richard an den Tisch. »Wegen Fritz Wennecke, ja.
Er war am Abend vor seinem Tod hier, völlig betrunken. Ich habe ihm gesagt, daß
ich mich nicht wohl fühle, aber es hat ihn nicht interessiert. Ich schickte die
Kinder raus, doch er befahl Annika, zu bleiben. Ich habe ihn angefleht, ich...»
Sie fuhr sich übers Gesicht. »Ich hielt ihn fest und sagte Annika, sie soll
weglaufen. Er stieß mich gegen das Bett. Ab da weiß ich nichts mehr. Ich kam
erst wieder zu mir, als Paul neben mir kniete. Er sagte, daß es Annika gut geht
und Wennecke fort ist.«
Richard
sah sie forschend an. »War Fritz Wennecke Pauls Vater?«
»Nein.«
»Aber
Sie hatten ein Kind von ihm?«
Sie sah
auf ihre Finger. »Ich weiß es nicht. Der Junge starb nach der
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