Hahn, Nikola
leer. Ungeniert nahm Martin Heynel am
Schreibtisch seines Vorgesetzten Platz und suchte Schriftstücke heraus, die er
Laura zu lesen gab: Strafan z eigen wegen Gewerbsunzucht und Kuppelei,
Niederschriften über polizeiliche Maßnahmen gegen liederliches Umhertreiben,
Berichte über das Erregen öffentlichen Ärgernisses durch die Verletzung der
Schamhaftigkeit. Nach der Mittagszeit hatte Laura im Polizeigefängnis
Gelegenheit, bei einem Verhör einer Fabrikarbeiterin anwesend zu sein, die
wegen Abtreibung verhaftet worden war. Danach entschuldigte sich Martin
Heynel, weil er Überprüfungen in der Stadt vorzunehmen habe. Um was es sich
dabei handelte, sagte er nicht. Seine Empfehlung, ein wenig in der Bibliothek
zu stöbern, nahm Laura gern an. Als sie
zurück ins Büro kam, war es früher Abend. Kommissar von Lieben saß an seinem
Schreibtisch. »Wo waren Sie so lange?« Er deutete auf ein Regal, in dem ein
grauer Karteikasten stand. »Bringen Sie das sofort zu Kommissar Beck.«
Warum
er den Auftrag nicht selbst erledigt hatte, war unschwer zu erkennen: Er war
stockbetrunken.
»Sie
haben mich rufen lassen, Herr Kommissar?«
Richard
schaute von der Zeitung auf. Der junge Wachposten drehte verlegen seine Mütze
in den Händen.
»Kommen
Sie rein und nehmen Sie Platz.«
Der
Junge schloß die Tür. Richard wies auf einen Stuhl. »Ich bekomme Genickstarre,
wenn ich zu Ihnen hochsehen muß. Haben Sie heute schon die Zeitung gelesen?«
»Also
... Nun, ich bin noch nicht dazu gekommen.«
»Haben
Sie überhaupt jemals eine Zeitung gelesen?«
Der
Junge senkte den Blick. »Nein.«
»Polizeirat
Franck hat mir vorhin die Berichterstattung über den Mordfall Lichtenstein
vorgelegt.«
»Was,
bitte, habe ich denn damit zu tun?«
»Es
wurden Details veröffentlicht, die nicht an die Öffentlichkeit gehören. Haben
Sie mit Vertretern der Presse gesprochen?«
Er
wurde blaß. »Sie denken doch nicht, daß ich
»Ich
will wissen, ob Sie irgendwelche Auskünfte an die Presse gegeben haben!«
»Nein!«
»Haben Journalisten
versucht, in die Räumlichkeiten des Lichtensteinschen Geschäfts zu gelangen?«
»Solange
ich dort Wache gehalten habe, nicht. Sie müssen mir bitte glauben, daß
»Danke.
Das genügt.«
Der
Junge stand auf. »Und was geschieht jetzt mit mir?«
»Befürchten
Sie Ihre Entlassung?« fragte Richard amüsiert.
»Auch
wenn Sie das lachhaft finden: Ja!«
»Wenn
Sie sich nichts haben zuschulden kommen lassen, besteht kein Anlaß zur
Furcht.«
»Sie
glauben mir doch sowieso kein Wort.« Nervös knetete er seine Mütze. »Egal, was
ich tue oder sage: Sie suchen einen Sündenbock, und Sie haben ihn gefunden,
nicht wahr? Auf Wiedersehen, Herr Kommissar.«
»Ich
wüßte nicht, daß ich Ihnen gestattet hätte, zu gehen, Herr... Wie heißen Sie
überhaupt?«
»Heusohn.
Paul Heusohn.«
»Wie
alt sind Sie?«
»Siebzehn.«
»Wenn
Sie Ihre Mütze weiter so bearbeiten, werden Sie bald eine neue brauchen. Warum
wollen Sie unbedingt zur Polizei, hm?«
»Ich
will Schutzmann werden und für Sicherheit und Ordnung sorgen.«
»Warum?«
»Weil
das ein ehrenwerter Beruf ist. Weil...« Sein Gesicht nahm einen trotzigen
Ausdruck an. »Sie glauben, daß ich zu dumm bin? Daß ich die Aufnahmeprüfung
nicht schaffe, weil ich den Herrn Polizeirat nicht gekannt habe und nicht weiß,
was in der Zeitung steht? Wenn ich erst alt genug bin, werde ich es allen
beweisen!«
»Wem
denn noch außer mir?« fragte Richard, obwohl er die Antwort zu kennen glaubte.
Sie war eine Reise in seine eigene Vergangenheit. »Auf welchem Polizeirevier
arbeitet Ihr Vater?«
»Er...
auf keinem. Wie kommen Sie darauf, daß mein Vater...?«
»Könnten
Sie sich vorstellen, in einem Mordfall mitzuarbeiten? Ich brauche einen
Gehilfen zur Unterstützung.«
Er
schluckte. »Ja, Herr Kommissar.«
»Dann
werde ich das Nötige veranlassen.« Richard faltete die Zeitung zusammen und gab
sie ihm. »Ich erwarte, daß meine Mitarbeiter über die Tagesereignisse
informiert sind. Oder können Sie nicht lesen?«
»Doch!
Mir fehlte nur... nun, die nötige Zeit und Gelegenheit.«
»Ab
sofort werden Sie sich die nötige Zeit nehmen. Sie hören von mir. Und jetzt
können Sie gehen.« Richard wandte sich seinen Akten zu. Paul Heusohn blieb
stehen.
»Was
ist denn noch?«
»Ich
möchte mich entschuldigen. Ich hatte kein Recht
»Ich bin
unverschämte Mitarbeiter gewöhnt. Bis morgen, Heusohn.«
»Bis
morgen, Herr Kommissar.«
Richard
sah ihm nachdenklich
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