Hahn, Nikola
um die Erstattung meines entgangenen Lohns für die Nacht.
Das ist nämlich im Moment mein größtes Problem, Frau Polizeiassistentin!«
Ein
hagerer Mann im Arztkittel kam herein. Er stellte sich Laura als Dr. Reich vor.
Zouzou begann, ihr Kleid aufzuknöpfen. »Verdammt kalt hier, Oberwachtmeister!«
sagte sie zu Heynel, der ihr ungeniert zusah.
»Also,
mir wird gerade ziemlich warm zumute«, entgegnete er grinsend.
Laura
senkte beschämt den Kopf. Legte er es darauf an, sie zu provozieren? Dr. Reich
packte sein Stethoskop aus und begann mit der Untersuchung. Sein Gesicht
zeigte keine Regung, während Zouzou mit spöttischer Miene seinen Anweisungen
folgte. Laura sah zu, wie er die Dirne am ganzen Körper abtastete, ihre
Genitalien begutachtete, ihr in Mund und Ohren schaute. Noch nie war sie sich
so überflüssig vorgekommen. Am liebsten wäre sie gegangen.
»Anziehen!
Die nächste!« sagte Dr. Reich.
Die
nächste hieß Claire und die übernächste Colette, und sie ähnelten Zouzou nicht
nur im Alter und Aussehen, sondern
auch im
Benehmen, so daß Laura sich auf eine knappe Begrüßung beschränkte und die
übrige Konversation Martin Heynel
überließ
Um so
überraschter war sie, als die vierte Frau hereingeführt wurde: Sie war älter
als die anderen, dezent geschminkt und
wußte sich
zu benehmen. Aber das Auffälligste war ihre Garderobe: Sie trug ein mit
Glaskorallen besticktes Kleid aus graublauem Samt und darüber einen eleganten
Abendmantel aus weißem Tuch.
»Du
solltest deine Bildungsabende ins Umland verlegen, Zilly«, spottete Heynel. »In
Frankfurt bist du zu bekannt.«
»Ich
wüßte nicht, warum ich als Abgaben zahlende Bürgerin dieser Stadt nicht ins
Theater gehen dürfte, Herr Oberwachtmeister!«
»Ins
Theater darfst du schon, bloß nicht ins Parkett.«
Zilly
sah Laura an. »Es gibt Menschen, die die Moral gepachtet und dabei vergessen
haben, daß Pacht per se das Eigentum an der Sache ausschließt.«
»Du
redest ja heute wieder ausnehmend klug daher, Fräulein Zilly«, bemerkte Martin
Heynel süffisant.
»Ausziehen!«
befahl Dr. Reich.
»Zilly
arbeitet in der Laterna Magica, das Grandhotel unter den Frankfurter
Bordellen«, sagte Martin Heynel, als sie auf dem Rückweg ins Polizeipräsidium
waren. »Die Kundschaft ist entsprechend betucht und legt Wert auf einwandfreie
Umgangsformen und stilvolles Ambiente. Die Dirnen sprechen sich untereinander
mit Fräulein an und tragen ihre gepuderten Naschen ziemlich hoch.« Als sie ihn
fragend ansah, lächelte er. »Auch unter Prostituierten gibt es Regeln im Umgang
zwischen Angehörigen unterschiedlicher Ränge. Aber die müssen Sie nicht gleich
am ersten Tag lernen. Ich würde Ihnen gern unser Dienstgebäude zeigen. Oder
haben Sie genug von mir?«
»Ganz
und gar nicht.« Laura ärgerte sich, als sie seinen selbstgefälligen
Gesichtsausdruck sah. Wie ein Jäger, der seine Beute in der Schlinge glaubte.
Er
zwinkerte ihr zu. »Was schauen Sie so verdrießlich, Polizeiassistentin? Das
Wetter ist trübe genug.«
Laura
zuckte die Schultern. Sie wußte einfach nicht, was sie sagen sollte. Noch nie
war ihr ein Mensch von so widersprüchlichem Charakter begegnet wie Martin
Heynel.
Den
halben Vormittag führte er sie durch das Präsidialgebäude, erklärte ihr die
Aufgabengebiete der einzelnen Abteilungen: Verwaltungssachen,
Gewerbeangelegenheiten, Statistik, Überwachung der Lotterien, Transportwesen',
Sicherheits- und Ordnungsdienst, Kriminalpolizei. Er stellte sie den Beamten
des Einwohnermeldeamts vor, zeigte ihr, wo die Arbeitszimmer des
Polizeipräsidenten und seines Stellvertreters lagen, begleitete sie zur Registratur
und in die Bibliothek, und Laura ertappte sich dabei, daß sie den Rundgang mit
ihm zu genießen begann. Auf dem Dachboden bestaunte sie die Vorrichtungen zum
Brandschutz und im Keller die moderne Heizungsanlage, die aus zwei zentralen
Feuerstellen bestand, über die erwärmte Luft durch Schächte in alle Diensträume
geleitet wurde, so daß auf die sonst üblichen Öfen verzichtet werden konnte.
Ihre
Fragen beantwortete der Oberwachtmeister bereitwillig und ausführlich, und so
erfuhr sie nicht nur, wie sie auf dem kürzesten Weg zum Erkennungsdienst kam,
sondern auch, daß es sich bei dem durch einen Gang mit dem Präsidium verbundenen
Gebäude an der Klapperfeldstraße um die Dienstwohnung des Polizeipräsidenten
handelte, in der es drei Wohnzimmer und fünf Schlafzimmer gab.
Bei
ihrer Rückkehr war von Liebens Büro
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