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Hahn, Nikola

Hahn, Nikola

Titel: Hahn, Nikola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe von Kristall
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dem Kaminsims gab es nichts Interessantes zu entdecken. Er
betrachtete das Porträt einer jungen Frau und erinnerte sich an Victorias
Bemerkung, daß Hopf seine Familie verloren hatte. Ob das seine Frau war? Das
Photo eines Säuglings ließ jedenfalls vermuten, daß sie ein Kind gehabt hatte.
War sie am Fieber gestorben? Richard schluckte. Die Ehefrau im Kindbett zu
verlieren, war das Schlimmste, das er sich vorstellen konnte.
    Leise
verließ er das Zimmer. Die Gelegenheit war günstig, sich ein bißchen umzusehen.
Im Erdgeschoß gab es eine blitzblank aufgeräumte Küche nebst gefüllter
Speisekammer, Hauswirtschaftsräume und eine verwinkelte Badestube, in der es
nach Keller roch. Die toten Vögel auf der Treppe nach oben wirkten
gespenstisch.
    Im Flur
gingen links eins, rechts drei Zimmer ab. Das erste rechts war ein Gästeraum,
das zweite, wie eine herumliegende Männerhose vermuten ließ, Hopfs
Schlafzimmer. Das Bett war nicht gemacht; unter dem Federzeug schaute ein
weißes Band heraus. Es gehörte zu einer Spitzenschürze, wie sie Dienstmädchen
trugen. Daneben lag ein seidener Damenunterrock. Das Laken war blutbefleckt.
Angeekelt ließ Richard das Bettzeug fallen. Es gab nichts Widerwärtigeres als
Männer, die sich an ihren Hausangestellten vergriffen.
    Durch
eine Verbindungstür gelangte er ins nächste Zimmer. Er wußte nicht, was er
erwartet hatte, aber sicher kein romantisch verspieltes Damenschlafzimmer. Auf
der Kommode lagen Haarkämme und Nadeln, Plüschpantoffeln standen vor dem Bett.
Über die Kissen war ein rosefarbenes Neglige gebreitet, auf dem Nachttisch
leuchtete ein Blumenbukett.
    Die
Bilder an den Wänden ließen keinen Zweifel daran, wem dieses Zimmer gehört
hatte: Auf der Photographie im Salon wirkte sie ernst und ein wenig traurig,
hier sah Richard die junge Frau musizieren, malen, lesen, lachen. Es waren
wundervolle Aufnahmen, sorgfältig arrangiert und gleichzeitig von einer
Unmittelbarkeit und Lebendigkeit, wie er sie nie zuvor auf Bildern gesehen
hatte.
    Zu dem
Schlafzimmer gehörte ein kleiner Ankleideraum. Auf einem Hocker lag ein
Unterrock, wie Richard ihn in Hopfs Bett gefunden hatte, im Schrank hingen
elegante und schlichte Kleider, in einer Kommode stapelten sich Strümpfe und
gestärkte Schürzen. War Hopf so einsam, daß er Trost in den Kleidungsstücken
einer Toten suchte? Aber warum war das Laken blutig?
    Nachdenklich
verließ Richard das Zimmer und öffnete die Tür zur Linken. Es war die
Bibliothek, ein heller, freundlicher Raum, in dem ein Kaminfeuer prasselte. Er
verzichtete auf eine nähere Besichtigung. Auf dem Weg nach unten hörte er ein
Scheppern. War Briddy aufgewacht? Ein Blick in den Salon zeigte, daß dem nicht
so war. Richard nahm eine Lampe, die auf einer Holztruhe im Flur stand und öffnete
die Tür zum Keller. Er sah in ein schwarzes Loch. Kein Laut war zu hören. Die
Treppe endete in einem mit Steinplatten belegten Gewölbegang. Es roch nach
Nässe und Schimmel.
    Richard
stieg über zerbrochene Latten und verfing sich in Spinnweben, die von der Decke
hingen. Auf einem Tisch stapelten sich leere Konservendosen. Dem Geruch nach
zu urteilen, waren sie nicht gereinigt. Als Richard eine berührte, sprang ihm
eine Maus entgegen. Die Büchse schepperte auf den Boden und rollte unter den
Tisch. Das also war des Rätsels Lösung!
    Am Ende
des Gangs sah er eine aus Bohlen gefertigte Tür. Sie war mit einem
Vorhängeschloß versperrt. Das Schloß hatte keine Rostanhaftungen, was
bedeutete, daß es erst vor kurzem angebracht worden war. Richard tastete den
Türrahmen ab.
    »Dürfte
ich fragen, was Sie in meinem Keller suchen?« sagte eine spöttische Stimme in
seinem Rücken.
    Richard
fuhr herum.
    »Guten
Tag, Herr Kommissar«, sagte der Mann. Er trug einen Reitdreß und hielt eine
Kerze in der Hand.
    Richard
brauchte einen Moment, bis er seine Fassung wiedergewonnen hatte. »Guten Tag,
Herr Hopf.«
    »Sie
wissen, daß ich Sie auf der Stelle hinauswerfen könnte? Es sei denn, Sie
verfügten über einen richterlichen Durchsuchungsbefehl. Oder es bestünde
Gefahr im Verzuge. Was Sie allerdings nachvollziehbar zu begründen hätten.«
    »Ich
sehe, Sie sind bestens informiert.«
    Hopf
lachte. »Die Reichsjustizgesetze sind eine interessante Lektüre. Im übrigen
haben Sie meine Frage nicht beantwortet.«
    »Als
ich ankam, stand die Haustür offen, Ihr Dienstmädchen war kurz vorm Sterben,
und aus Ihrem Keller kam ein Krawall wie bei einem mittelalterlichen
Ritterturnier.

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