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Hahn, Nikola

Hahn, Nikola

Titel: Hahn, Nikola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe von Kristall
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schlichten Haus, und sein Gehalt hatte sogar
für Louise und eine Wäscherin gereicht. Wenn er abends nach Hause kam, lächelte
er über Amtmann Jänneck, der die Läuse einzeln von seinen Vorgartenrosen
verjagte, er grüßte Lehrer Bach und sah Revisor Rückert in der Dämmerung seine
Pfeife rauchen. Victoria erzählte ihm von den Kindern und der Geschichte, die
sie gerade las. Sonntags gingen sie in den Anlagen spazieren und luden Heiner
und Helena zum Kaffee ein.
    Es war
kurz vor Vickis sechzehntem Geburtstag, ein schwüler Augusttag, alle Fenster
standen offen. Victoria hatte ein rotes Kleid an und seine Hände gefaßt. Bitte,
Richard! Ich habe mit Vater gesprochen. Wenn wir im gleichen Haus wohnen, kann
ich mich besser um Clara und Mama kümmern. Die Mädchen bekommen ihr eigenes
Zimmer. Und David wäre auch versorgt.
    Nie war
ihm ein Ja schwerer gefallen. Flora hatte gejubelt, Vicki genickt, Louise still
geweint. Heiner und Helena waren nur einmal im Palais im Untermainkai gewesen.
Die Gegenbesuche im Rapunzelgäßchen wurden seltener und hörten schließlich
ganz auf. Memento mori sagt mir nichts, Herr Kommissar, hatte Braun
gesagt. Aber Victorias Deutung scheint mir doch die plausibelste zu sein.
    Wie
gern wollte Richard ihm glauben! Aber sprachen die Umstände nicht jeder
harmlosen Deutung hohn? Das Problem war ja weniger, was sie gesagt hatte,
sondern, wie sie es gesagt hatte. Und das hatten weder Victoria noch Braun
gehört. War ihm der Klang ihrer Stimme nicht vertraut vorgekommen? Oder bildete
er sich alles nur ein? Signora Runa. Richard murmelte
    den
Namen, sezierte ihn in Silben und Buchstaben, um zu den immer gleichen Fragen
zurückzukehren: Wer war sie? Woher kannte sie ihn?
    Runa
mochte eine Phantasiebezeichnung sein, aber warum nannte sie sich Signora? Die
meisten Bordellwirtinnen legten sich französische Namen zu und hießen
demzufolge Madame. War sie Italienerin oder italienischer Abstammung? Sie
sprach allerdings ohne jeden Akzent. Richard dachte an den italienischen
Pianisten und gab dem Kutscher Befehl, zum Kaiserplatz zu fahren. Einige
Minuten später hielt der Wagen vor den mit Wappen geschmückten Arkaden des
Frankfurter Hofs. Die dreiflügelige Hotelanlage sah aus wie ein barockes
französisches Schloß. Die äußere Pracht setzte sich im Inneren fort, aber
Richard hatte kein Auge für das edle Interieur. Er bedaure, aber Signore
Consolo sei bereits zum Centralbahnhof gefahren, teilte ihm ein akkurat
gescheitelter Portier mit.
    Zum
Glück hatte der Zug nach Italien Verspätung. Consolo saß im Wartesaal der
Ersten Klasse und studierte Partituren. Als er Richard sah, stand er lächelnd
auf. »Guten Tag, Commissario.«
    »Ich
hoffe, Sie haben ein paar Minuten Zeit für mich?« »Si.« Die Männer setzten
sich. Consolo machte eine ausholende Handbewegung. »Der Bahnhof in Francoforte
ist wunderbar!«
    »Mhm«,
sagte Richard. Der Wartesaal der Ersten Klasse hatte das Ausmaß einer
Kathedrale und die Ausstattung eines Bankettsaals, und Richard hatte sich
ausweisen müssen, um überhaupt hineingelassen zu werden. Er überlegte, wie er
seine Fragen stellen konnte, ohne Lichtenstein zu kompromittieren. »Kennen Sie
eine Dame namens Signora Runa?« Der Pianist schüttelte den Kopf. »No. Warum?«
»Wir   fanden   ihren   Namen    in   Lichtensteins   Kartei«,    log Richard. »Da sie
vermutlich Italienerin ist, hatte ich gehofft, daß Sie mir weiterhelfen könnten.«
    »Das
tut mir leid, Commissario. Dieser Name ist ungewöhnlich, und ich habe ihn ganz
sicher noch nicht gehört.«
    »Und Laterna
Magica?«
    »Wer,
bitte, ist das?«
    »Wie
gut kannten Sie Hermann Lichtenstein?«
    »Ich
verstehe nicht?«
    »Haben
Sie mit ihm auch über, nun, andere Dinge gesprochen als Musik?«
    Consolo lächelte. »Sie meinen amore, Commissario?«
    »Zum
Beispiel, ja.«
    »Er hat
viel von seine Frau und Kinder erzählt. Ich kenne keine anständigere Mann als
Hermann Lichtenstein.«
    Richard
nickte und verabschiedete sich. Nachdenklich ging er zu seiner Droschke zurück. Ich kenne keinen anständigeren Mann als Hermann Lichtenstein. Ähnliches
hatte er während der vergangenen Tage Dutzende Male gehört, von Angehörigen,
Nachbarn, Freunden, Bekannten: ein treusorgender Vater und ein guter Ehemann.
Nicht, daß es ungewöhnlich wäre, wenn treusorgende Väter und gute Ehemänner
ins Bordell gingen, aber bei Hermann Lichtenstein paßte es einfach nicht. Wie
so vieles andere in diesem verflixten

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