Hahn, Nikola
Einladungskarte
für den kommenden Freitag zu einem Galadiner mit Tanz anläßlich des vierzigsten
Geburtstags einer Gräfin von Tennitz. Sie gab Heynel den Brief zurück. »Das muß
eine Verwechslung sein. Ich kenne diese Dame nicht.«
Er las
die Karte und warf sie auf den Tisch. »Das sieht ihr ähnlich!«
»Was
ist denn?« fragte Laura erschrocken.
»Biddlings
Schwägerin im Adelsstand und Frankfurts größte Wohltäterin beliebt, über alles
und jeden nach ihrem Gusto zu verfügen.«
»Bitte?«
»Sagen
Sie bloß, Sie wissen nicht, wem Sie Ihre Stelle hier zu verdanken haben?«
»Vielleicht
hätten Sie die Güte, mich aufzuklären?«
Seine
Miene entspannte sich. »Also gut. Fangen wir von vorn an. Gräfin Cornelia von
Tennitz, geborene Hortacker, ist die Tochter von Cornelius E. T. Hortacker,
einem der reichsten Privatbankiers in Frankfurt. Da sich Geld gern zu Geld
gesellt, heiratete und beerbte sie Graf Ehrenfried Gandolf von Tennitz. Nach
seinem Tod zog sie von Stuttgart nach Frankfurt und machte einige nicht
unerhebliche Spenden an städtische und private Einrichtungen. Sie engagiert
sich aufs heftigste in diversen Vereinigungen, unter anderem im Verein
Kinderschutz, der den Einsatz fachlich geschulter Fürsorgekräfte bei der
Polizei fordert. Da sich in ihrer Villa Frankfurts Honoratioren die Klinke in
die Hand geben, wurde diesem Wunsch mit Ihrer Einstellung entsprochen.«
»Kommissar
Biddling ist verwandt mit ihr?« fragte Laura.
»Ihr
Bruder ist mit der Schwester von Biddlings Frau verheiratet. Übrigens auch
keine arme Familie.«
»Gräfin
Tennitz ist sicher eine interessante Frau.«
»Allerdings.«
»Warum
sagen Sie das so gehässig?«
»Tue
ich das?«
Laura
nahm die Einladung. »Ein paar nützliche Kontakte können meiner Arbeit nicht
schaden. Ich werde hingehen.«
»Allein?«
Sie
schluckte. Es war üblich, daß unverheiratete Frauen zu größeren Geselligkeiten einen
männlichen Begleiter mitbrachten. »Warum nicht?« sagte sie trotzig.
»Ich
hätte nichts dagegen, in die Bresche zu springen.«
Es
ärgerte sie, daß sie sich über sein Angebot freute. »Ich dachte, Sie mögen Frau
von Tennitz nicht?«
Er
lächelte. »Glauben Sie ernsthaft, ich lasse Sie mutterseelenallein in die
Höhle des Löwen spazieren?«
»Sie
haben mich auch mutterseelenallein durch das Ihrer Meinung nach verderbteste
Viertel der Stadt spazieren lassen.«
»Die
Feuerprobe haben Sie allemal glänzend bestanden, oder? Im Ernst: Es tut mir
leid.«
»Mir
auch.«
»Das
meinte ich nicht«, sagte er freundlich.
Laura
versuchte, ein gleichgültiges Gesicht zu machen. »Mein Verhalten war
unangebracht und meiner Stellung nicht angemessen. Es wird sich nicht
wiederholen.«
»Ganz
wie Sie meinen.« Er nahm einen Stapel Akten von seinem Schreibtisch und fing
an, sie in die Schränke zu räumen.
»Gibt
es irgendwo eine Auflistung der verschiedenen Frankfurter Sozialen
Einrichtungen?« fragte Laura.
Er nickte.
»In der Centrale für private Fürsorge. Eine gute Adresse ist auch das Institut
für Gemeinwohl. Allerdings ist das Verhältnis zwischen öffentlicher und
privater Wohlfahrtspflege im großen und ganzen ungeregelt. Die Zahl privater
Vereine
und
Hilfseinrichtungen liegt in Frankfurt bei weit über zweihundert. Hinzu kommen
evangelische, katholische und jüdische Einrichtungen. Es gibt einundvierzig
Armenbezirke in der Stadt, in denen rund siebenhundert Armenpfleger arbeiten.
Die Gesamtzahl der Unterstützten liegt bei mehr als dreißigtausend. Über
Mangel an Arbeit werden Sie also kaum zu klagen haben.« Er zeigte auf das
Regal, in dem die Photokartei stand. »Wenn Sie sich für statistische und
gesetzliche Grundlagen interessieren - dort finden Sie entsprechende
Literatur.«
Laura
schaute sich die Bücher an: Gesetze und Verordnungen in der Hauptsache,
daneben Abhandlungen über Mädchenhandel und Prostitution, Armenpflege und
Armenpolitik im In- und Ausland, hygienische Verhältnisse, Kanalbauten und
sonstige Einrichtungen in der Stadt Frankfurt, und, kaum zu glauben, ein Buch
über die Frauenfrage im Mittelalter.
»Was
hatten Sie in den Akten zu suchen?« riß Heynes Stimme sie aus ihren Gedanken.
Er wies auf einen der Schränke. »Sie haben Unterlagen entnommen! Warum?«
»Ich
habe nichts entnommen!« sagte Laura empört. »Lediglich etwas nachgeschaut.«
»Und
was, bitte?«
»Eine
Zeugin erkannte bei der Durchsicht der Photokartei Fräulein Zilly als eine Dame
wieder, die Herrn Lichtenstein kurz
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