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Hahn, Nikola

Hahn, Nikola

Titel: Hahn, Nikola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe von Kristall
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alten Stoffpuppe.
    Martin
Heynel kramte in seiner Manteltasche und hielt dem Jungen ein Bonbon hin. Mit
leuchtenden Augen nahm er es entgegen. Lotte Heynes Gesicht war fleckig vor
Aufregung. Mit vielen Entschuldigungen, daß sie nicht gerichtet sei und nur
einen Kaffee anbieten könne, verschwand sie in der Küche. Der Junge steckte das
Bonbon in den Mund und folgte ihr. Das Mädchen ließ die Puppe fallen und lief
hinterher.
    »Das
war wenig klug«, sagte Laura.
    Martin
Heynel zuckte mit den Schultern. »Sie wollten nach Wurzeln graben, nicht ich.«
    Lauras
Blick wanderte durch das ärmliche, aber saubere Zimmer. An der Wand über den
Betten hing eine gedruckte Gebirgslandschaft neben einem Kaiserporträt. Die
Kissen auf dem Sofa waren mit einem akkuraten Knick versehen. Auf einem Stuhl
lag eine Schürze. Vermutlich hatte Lotte Heynel sie ausgezogen, bevor sie zur
Tür gegangen war. »Einen Sumpf kann ich beim besten Willen nicht entdecken.«
    Heynel
zeigte auf die Nähmaschine. »Tagsüber arbeitet sie in der Fabrik, nachts näht
und flickt sie für vornehme Frankfurter Westendbürger. Trotzdem reicht es kaum
fürs Nötigste. In zwei Wochen ist der Balg da, und jedes Jahr wird sie einen
neuen kriegen. Man kann nur hoffen, daß wie in der Vergangenheit auch in der
Zukunft nicht alle überleben werden.«
    Laura
war so entsetzt über seine Gefühlskälte, daß ihr die Worte fehlten. Ihn schien
es nicht zu stören. »Lotte ist seit sieben Jahren mit ihrem Schatz zusammen,
aber nicht, weil sie Bebeis freie Liebe schätzt, sondern weil der Kerl nicht
genug verdient, um eine ordentliche Hochzeit ausrichten zu können. Wenigstens
säuft er nicht. Noch nicht.«
    Lotte
kam mit dem Kaffee. Sie entschuldigte sich für das angeschlagene Geschirr und
daß sie keine Milch im Haus habe. Eine halbe Stunde lang redeten sie
angestrengt über Belanglosigkeiten, bis Martin sich endlich verabschiedete.
Bevor er ging, steckte er unauffällig eine Münze in Lottes Schürze, eine Geste,
die Laura überraschte.
    »Unser
Besuch war grob unhöflich«, sagte sie, als sie im Hof waren.
    Martin
Heynel lächelte. »Sie wollten meine Familie kennenlernen.«
    »Und
Ihr Vater?«
    »Starb
vor achtzehn Jahren.«
    »Weitere
Geschwister haben Sie nicht?«
    »Zumindest
keine lebenden.«
    »Was
ist mit Ihrer Mutter?«
    »An
ihrem Todestag habe ich mir ein Glas Sekt gegönnt.« Er zeigte zum Kellerabgang.
»Wollen Sie meinen Lieblingsplatz sehen?«
    Laura
hätte ihn gerne gefragt, warum er seine Mutter gehaßt hatte, aber sie sah
seinem Gesicht an, daß sie keine Antwort bekommen würde. Er entriegelte die
Tür, nahm eine Kerze und Zündhölzer aus einer Nische und machte Licht. Laura
folgte ihm in den Kohlenkeller. Durch die Ritzen in der Schütte schimmerte
graues Licht. Die Tür zum Nachbarkeller war mit

einem
Vorhängeschloß gesichert. Martin Heynel holte ein gebogenes Stück Draht aus
seiner Manteltasche.
    »Was
haben Sie vor?« fragte Laura beunruhigt.
    Er
stellte die Kerze ab und lachte leise. Im Handumdrehen hatte er das Schloß
geöffnet. Er schob den Riegel gerade so weit zurück, daß sich die Tür aufziehen
ließ und hängte das Schloß wieder ein. Er winkte Laura in den Keller. Der
Geruch von Sauerkraut schlug ihr entgegen. An den Wänden standen Regale mit
eingewecktem Obst und Gemüse, in einer Kiste keimten runzelige Kartoffeln.
Davor sah sie einen Blecheimer und Kehrgerät. »Hierher habe ich mich früher
verzogen, wenn ich keine Lust auf Kohlsuppe hatte«, sagte er.
    »...und
heimlich von fremden Vorräten genascht«, ergänzte Laura.
    »Soll
das heißen, Sie trauen mir einen Diebstahl zu?«
    Sein
Gesicht sah nicht mehr spöttisch aus. Laura wurde warm. »Ich glaube, wir
sollten nach oben gehen.«
    Er
leuchtete neben die Kartoffelkiste. »Dort begann früher unsere Rohrpost.«
    »Bitte?«
    »Ein
Durchbruch zum Nachbarhaus. Davor stand ein Schrank. Wenn der Vermieter ihn
nicht irgendwann abgeschlagen hätte, würde er heute noch darüber grübeln, wie
wir trotz seiner strengen Überwachung in seinen Keller hineingekommen sind.«
    Das
Loch war zugemauert, aber die Umrisse waren noch zu sehen. »Warum nannten Sie
es Rohrpost?«
    »Im
Notfall traten wir den Rückzug über das Kanalnetz an. Zwei Keller weiter gibt
es einen vergessenen kleinen Schacht.«
    »Ist
das nicht gefährlich?«
    Er
berührte ihr Gesicht. »Nicht gefährlicher, als im Sumpf zu leben.«
    »Herr
Heynel, ich
    Plötzlich
ging die Kerze aus.
    »Was
soll das?« rief Laura in

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