Hahn, Nikola
die Finsternis. »Machen Sie sofort das Licht wieder
an!«
Er
lachte. »Warum? Fürchten Sie sich im Dunkeln?«
Sie
spürte seine Hand und stieß ihn mit aller Macht von sich. Es schepperte, dann
war es still. Laura tastete sich vorwärts und prallte gegen die Kartoffelkiste.
»Sind Sie in Ordnung?« Nicht das kleinste Geräusch war zu hören. »Herr Heynel?«
rief sie verzweifelt. »Lieber Gott, das wollte ich nicht! Bitte ... Martin!«
Ein Streichholz
flammte auf. Er saß neben dem umgefallenen Eimer und grinste. Eine unbändige
Wut überkam sie, aber bevor sie etwas sagen konnte, wurde es wieder dunkel.
»Lassen
Sie auf der Stelle dieses verdammte Spiel sein!«
Er riß ein
neues Zündholz an. »Helfen Sie mir lieber die Kerze zu suchen, anstatt mich zu
beschimpfen.«
Sie
entdeckten sie unter einem Regal. Martin Heynel zündete sie an. Laura sah seine
Hand und erschrak. »Sie bluten ja!«
»Ein
harmloser Kratzer«, wehrte er ab.
»Mit
solchen Verletzungen ist nicht zu spaßen. Zeigen Sie her!«
»Zu
Befehl, Schwester!« sagte er amüsiert.
Mit
ihrem Taschentuch tupfte sie das Blut weg.
Er
lächelte. »Es war schön, wie du eben meinen Namen gesagt hast.«
Sie
steckte das Tuch weg. »Wenn wir zurück auf der Dienststelle sind, sollten wir
die Wunde vorsichtshalber
»Ach
was«, sagte er und küßte sie.
Keine
drei Minuten später waren sie auf der Straße. Es hatte aufgehört zu regnen. Im
Rinnstein floß braunes Wasser. Martin Heynel klopfte sich den Staub vom
Mantel. »Hatten Sie nicht eine dienstliche Erledigung im Krankenhaus,
Polizeiassistentin?«
»Ja...
sicher«, sagte Laura.
»Wir
sehen uns im Präsidium.«
Bevor
sie etwas erwidern konnte, war er gegangen. Laura hatte Mühe, die Tränen
zurückzuhalten. Sicher wußte er so gut wie sie, daß Frauen im Staatsdienst
keine Liebschaften haben durften. War er etwa enttäuscht, daß sie sich nicht
gewehrt, ja, daß sie seine Zärtlichkeit ohne Scheu erwidert hatte? Mußte er
nicht annehmen, sie sei schamlos? Andererseits: Wie flugs er den Draht
zur
Hand gehabt hatte! War dieses Tete-a-tete vielleicht geplant gewesen? Hatte er
bloß auf eine günstige Gelegenheit gewartet? Laura fuhr sich übers Gesicht. Sie
hatte das Citronengäßchen erwähnt, nicht er. Sie dachte an Philipp. Vom ersten
Tag an hatte er ihr den Hof gemacht, doch bis sie sich zum ersten Mal küßten,
vergingen fast drei Monate. Die Erinnerung tat weh.
»Kann
ich Ihne helfe, Frollein?« fragte eine alte Frau mit einem Korb in der Hand.
Sie lächelte. »Verzeihung, awwer Sie sehe aus, wie wenn Se sich e bissi
verlaufe hätte.«
»Könnten
Sie mir bitte sagen, wie ich zum Städtischen Krankenhaus komme?«
»Also,
erstemol gehe Sie des Gäßche zurück, dann rechts, dann nochemol rechts, dann
dorchs nächste Gäßche gradwegs gradaus, un dadanach
Laura
bemühte sich, den Ausführungen zu folgen. »Haben Sie vielen Dank, gnädige
Frau.«
Sie
lachte. »Sie hawwe net e Viertelche von mei'm Gebabbel verstanne, gell?«
»Nun,
ich...«
»Nix
für ungut, awwer ich wollt sowieso mal widder die Lisi in Sachsehause besuche.
Wenn Sie nix dagege hawwe, komm ich gleich e Stückche mit.«
Das
Stückchen reichte bis zum Eingang des Krankenhauses, und als Laura sich von
ihrer Begleiterin verabschiedete, hatte sie nicht nur jede Menge Frankfurter
Familiengeschichten gehört, sondern auch einige Male herzhaft gelacht. Das
Citronengäßchen war plötzlich weit weg, und sie konnte sich selbst nicht mehr
verstehen. Was kümmerten sie die komplizierten Befindlichkeiten von
Oberwachtmeister Heynel? Sie war doch nicht nach Frankfurt gekommen, um sich
von einer unglücklichen Liebschaft in die nächste zu stürzen! Die zuständige
Schwester war in Eile und bat Laura, später wiederzukommen, da Anna Frick noch
immer nicht aufgewacht sei. Immerhin erfuhr sie, daß ihr Zustand inzwischen
stabil sei und kein Anlaß mehr zu großer Sorge bestehe.
Martin
Heynel arbeitete an der Anzeige gegen den Spitzenhändler Simon, als sie ins
Polizeipräsidium zurückkehrte. »Haben Sie die verhinderte Selbstmörderin von
Francks Argumenten überzeugen können?« fragte er lächelnd und gab ihr einen
Brief. »Der ist vorhin gekommen.«
»Vielen
Dank, Herr Heynel«, sagte sie förmlich.
Das
Kuvert war aus Seidenpapier, die Adresse mit der Maschine geschrieben: Polizeipräsidium,
Neue Zeil 60, III. Abt., z. Hd. Frl. Polizeiassistentin Rothe. Kein
Absender. Neugierig riß Laura den Umschlag auf. Er enthielt eine
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