HahnBlues | Ein Rhein-Mosel-Krimi
fühlte ich mich ausgebrannt und musste mich jeden Tag zur Firma quälen, während ich früher gern arbeiten gegangen bin.“
„Haben Sie nie mit ihm gesprochen – von Mann zu Mann?“
„Von einem Moment zum anderen habe ich Manderscheid gehasst. Ich habe ihm Vorwürfe gemacht, was ihm einfällt, sich an meinem Kind zu vergehen, doch er hat mir geschworen, dass sie es auch gewollt hat. Trotzdem … für mich war Julia noch mein Kind, ich sehe heute noch das kleine Mädchen mit den lustigen Zöpfen, die meist in pink rumgerannt ist und mit Puppen gespielt hat. Und dann öffnet man eine Tür, eine verdammte Tür, und die Illusion, die Erinnerung an die Jahre ihrer ungetrübten Kindheit zerplatzt wie eine Seifenblase. Das lag mir schwer im Magen. Und ich habe begonnen zu trinken.“
„In Ihrem Job nicht sehr vernünftig“, merkte Udo vorsichtig an.
„Sie sind lustig. Ich habe auf die Vernunft geschissen. Für mich war es eine Vergewaltigung, vielleicht hat er ihr irgendwelche Tropfen in den Kaffee gekippt, um sie gefügig zu machen, ich weiß es nicht. Selbst wenn ich Julia zum Arzt geschleppt hätte – diese verdammten K.o.-Tropfen sind doch nach ein paar Stunden schon nicht mehr nachweisbar. Am liebsten hätte ich Manderscheid, der meiner Tochter die Unschuld genommen hat, totgeschlagen.“ Jürgen Wilms griff zu seinem Weinglas, schüttete den Rest in sich hinein und schenkte sofort nach.
Sekundenlang war das Ticken der Küchenuhr an der Wand das einzige Geräusch in der Küche, dann sprang der Kühlschrank an und übertönte mit seinem nervenden Brummen das Ticken der Uhr.
„Aber Sie haben ihn nicht totgeschlagen, weil er erschossen wurde“, sagte Udo in die entstandene Stille hinein.
Der Blick des alten Mannes glitt durch das Küchenfenster hinaus in den Garten. Eine Katze kletterte gerade den Stamm des alten Apfelbaumes hinauf. Jonagold, vermutete Udo mit Kennerblick.
„Meine heile Welt, meine Auffassung einer heilen Welt, war für immer verloren.“
Udo räusperte sich. „Herr Wilms, bei allem Verständnis: Wir haben alle Kinder, aber sie gehören uns nicht. Kinder wachsen heran, sie machen ihre Erfahrungen. Und sie sammeln, so befremdend das auch in den Ohren eines liebenden Vaters klingen mag, sexuelle Erfahrungen.“
Jürgen Wilms schlug mit der Faust auf den Küchentisch. Das Weinglas vollführte einen Hüpfer, kippte aber nicht um. „Aber nicht mit einem widerlichen alten Sack. Ich hätte bestimmt keine Einwände gehabt, wenn sie sich einen Freund in ihrem Alter gesucht hätte: Händchen halten, Knutschen, Fummeln, von mir aus auch irgendwann mehr. Aber ausgerechnet Rudolf Manderscheid.“ Wilms schüttelte den Kopf und nahm wieder einen Schluck von seinem Riesling.
Udo betrachtete das Etikett der Flasche – der Wein stammte von einem Winzer aus der Gegend. So schnell wie Wilms trank, hätte es auch der Billigwein aus dem Supermarkt getan. Er trank nicht um zu genießen, sondern um sich zu betäuben. Dennoch schien die gewünschte Wirkung des Alkohols auszubleiben.
Wilms, der nervös am Rand der Tischdecke herumgefummelt hatte, blickte Udo mit regungsloser Miene an. „Ich habe Manderscheid von diesem Moment an gehasst, aber das sagte ich ja schon. In der Zeit nach diesem Erlebnis plagten mich Albträume, ich trank zu viel. Und in mir reifte ein Plan, wie ich den Alten umbringen konnte.“
In Gedanken rief sich Udo die Eckdaten zum Mord an Manderscheid auf. Man hatte ihn erschossen mit dem Gesicht im Ahringsbach gefunden. „Herr Wilms, sind Sie im Besitz einer Schusswaffe?“
Der alte Mann zuckte zusammen. „Wie kommen Sie auf so einen Blödsinn? Wollen Sie behaupten, ich hätte Manderscheid auf dem Gewissen?“
„Bitte beantworten Sie meine Frage.“
„Nein, verdammt, ich habe keine Pistole und kein Gewehr. Und nun muss ich Sie bitten zu gehen.“
„Eine letzte Frage noch: Wo befindet sich Ihre Tochter jetzt?“
Wilms zuckte die Schultern. „Sie haben es doch eben gesagt: Unsere Kinder gehören uns nicht. Und Julia ist erwachsen. Sie muss mir keine Rechenschaft ablegen, wenn sie das Haus verlässt.“
Udo erhob sich. „Sie sollten sich zur Verfügung halten“, bemerkte er. „Es kann sein, dass Sie zum Verhör aufs Präsidium geladen werden.“
„Von mir aus. Ich habe nichts zu verbergen. Aber ich finde es eine Riesensauerei, dass Sie mich jetzt zum Täter machen, nur, weil ich Ihnen die Geschichte meiner Tochter erzählt habe, damit Sie im Bilde
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