Hahnemanns Frau
einweihen, die damals der große David d'Angers von meinem geliebten Mann erschaffen hatte. Durch Sophie bekam mein Leben endlich wieder Farbe, und ich blühte ein wenig auf.
Doch kurz darauf mußte ich noch zwei weitere Schicksalsschläge hinnehmen. Zuerst starb die liebe Rose, meine Haushälterin, die mir jedoch mehr bedeutete als meine Mutter. Dann heiratet mein Ziehsohn Charles und nahm einen Lehrstuhl in Belgien an. Für mich war das eine Katastrophe. Zum einen, weil er, seit ich sechzehn Jahre alt war, an meiner Seite lebte und ich ihn sehr vermißte; zum anderen hatte er als Arzt und Apotheker meine Arbeit legitimiert. Durch sein Weggehen geriet ich wieder an den Rand der Illegalität, und meine wirtschaftliche Situation verschlechterte sich rapide. Sophie und ich lebten dadurch in relativer Armut, und um existieren zu können, war ich von neuem gezwungen, Stücke aus meinem Besitz zu verkaufen. Außerdem mußte ich, um neue Patienten zu gewinnen, zusätzlich wieder einmal pro Woche in meinem Landhaus in Versailles praktizieren, in dem ich mich auch jetzt befinde.
Zum Glück blieb mir Sébastien, ein sehr guter Freund, der mir seit nunmehr fast vierzig Jahren treu zur Seite steht – doch leider hält er sich von Berufs wegen oft monatelang in England auf.
Wie Sie ja selbst in Ihrem Brief erwähnten, bleibe ich, was die Herausgabe der Manuskripte betrifft, weiterhin unerbittlich. Ich hätte durch ihren Verkauf meine wirtschaftliche Lage wesentlich verbessern können, aber ich weiß, daß die Zeit noch nicht reif ist, und ich habe meinem Mann an seinem Totenbett nun einmal versprochen, mich schützend vor seine Arbeit zu stellen. Meine Haltung bringt mir immer mehr erbitterte Feinde ein, ich werde mit Beleidigungen, Verdächtigungen und Beschimpfungen verfolgt – selbst Samuels bester Freund und Vertrauter, Clemens Freiherr von Bönninghausen, versuchte mich zuzeiten immer wieder zur Herausgabe der Manuskripte zu bewegen. Doch all das ertrage ich gerne, um Samuel und sein Lebenswerk vor den Besserwissern und Intriganten zu beschützen, denen nichts lieber wäre, als ihn endlich des Irrsinns überführen zu können.
Sie glauben es nicht, daß man diesem wunderbaren großen Mann, der soviel Gutes für die Welt getan hat, selbst jetzt noch Böses will? Dann möchte ich Ihnen folgendes erzählen:
Als Sophie siebzehn Jahre alt war, wollte ich sie mit Bönninghausens Sohn Karl verheiraten. Sie selbst hatte diesen Schritt vorgeschlagen – vielleicht war sie des ewigen Hungerleidens müde und hoffte, durch ihre Heirat nicht nur selbst in eine bessere Lage zu kommen, sondern auch mir zu einem Neubeginn verhelfen zu können. Dieser Hochzeit wegen machte ich dem Vater dann Zugeständnisse und versprach, die sechste Auflage des ›Organon‹ im Herbst endlich zu veröffentlichen. Vorab überließ ich Bönninghausen – ausdrücklich nur zur persönlichen Einsicht! – einiges Material aus den Krankenjournalen. Doch er hatte nichts Eiligeres zu tun, als diese Aufzeichnungen sofort zu veröffentlichen, und prompt wurden meine schlimmsten Befürchtungen wahr. Am 28. Juli 1856 erschien in der ›Leipziger homöopathischen Zeitung‹ ein Artikel, den Sie ja vielleicht sogar gelesen haben. Erinnern Sie sich? Man schrieb, es seien geradezu ›lächerlich hohe Verdünnungen‹ gewesen, mit denen mein Mann in seinen letzten Jahren gearbeitet hatte, und man stellte ihn als geistesgeschwächt und alterssenil hin. Bönninghausen war ebenso entsetzt über solche Verunglimpfungen wie ich selbst und sah schließlich ein, daß ich recht hatte, die Manuskripte zurückzuhalten. Von da an bedrängte er mich in dieser Hinsicht auch nie wieder.
Trotz dieser Vorkommnisse, die mein Vertrauen zu Bönninghausen zutiefst erschüttert hatten, heiratete Sophie seinen Sohn Karl, der, wie Sie ja wissen, ebenfalls Homöopath ist. Er zog zu uns nach Paris, wo wir seit nunmehr dreizehn Jahren gemeinsam praktizieren und zu dritt ein harmonisches Leben führen.
Nein, ich muß mich berichtigen – führten! Denn nun, wo es uns menschlich und wirtschaftlich endlich wieder gutgeht und wir ein zwar bescheidenes, aber glückliches Leben führen, zwingen uns die politischen Ereignisse zu neuen Entscheidungen. So schmerzlich mir der Gedanke auch ist, letzte Nacht, in der ich kein Auge zutat, wurde mir klar, daß es wohl besser wäre, meine Sophie und ihr Mann würden Frankreich verlassen. Der Haß auf die Deutschen beseelt die Franzosen. Seit sich
Weitere Kostenlose Bücher