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Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauer Angeline
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ausstrahlte, was für ein Charisma!

Hahnemanns Töchter
    Langsam spazierten sie die Bernburger Straße entlang. Es war kühl und bereits dunkel, die Nacht war klar, und der Himmel hing voller Sterne. Mélanie legte den Kopf in den Nacken und betrachtete den Mond, der schon am Nachmittag aufgegangen war und nun hoch über ihnen als schmale Sichel auf dem Rücken lag. Er sah aus wie eine Schale, und plötzlich war ihr, als brauchte sie nur die Hand auszustrecken und hinaufzugreifen, und dann könnte sie alles, was sie sich wünschte, aus dieser Schale herausholen. Liebe und Glück, tausend Küsse, Gesundheit und ein langes Leben – was auch immer sie begehrte, es war schon in der Welt und lag für sie bereit.
    Bevor sie auf die andere Seite wechselten, reichte Dr. Hahnemann ihr den Arm. Sie hängte sich bei ihm ein und ließ auch nicht los, als sie drüben angekommen waren. Zu gut fühlte es sich an, ihm so nahe zu sein, so beruhigend, so warm und geborgen.
    Sie sprachen kein Wort, vielleicht, weil sie Angst hatten, die wunderbare Stimmung zu vertreiben, vielleicht, weil sie nichts zu sagen brauchten, um sich zu verstehen. Es lag ein seltsames Einverständnis zwischen ihnen, das Worte in solchen Momenten überflüssig sein ließ. Diese Erkenntnis erstaunte Mélanie und auch wieder nicht. Sie wußte, wenn es je einen Mann für sie geben würde, dann mußte sich das Zusammensein mit ihm genau so anfühlen.
    Vor Haus Nr. 270 angekommen, legte Samuel kurz seine Hand auf ihre, dann öffnete er die Tür und ließ ihr den Vortritt.
    Es war Luise, die ihnen im Flur entgegenkam. Samuel nahm seinem Gast die Mantille mit dem Pelzbesatz ab und legte sie über einen Stuhl. Darunter kam ein Kleid aus weinroter Seide mit geschnürter Taille und weitem Rock zum Vorschein. Der Besatz, der das schulterfreie Dekolleté umspielte und spitz gegen die Taille zulief, war aus weißem, in feine Biesen gelegtem Georgette. In die Mitte des Besatzes hatte Mélanie eine Brosche aus in Gold gefaßten Granaten gesteckt, die farblich genau mit dem Kleid harmonierte und wunderbar zu ihren blonden Haaren und blauen Augen paßte.
    Fasziniert starrte Luise diese Frau aus Paris an. Sie schien hin und her gerissen zwischen einem leisen Entsetzen und Begeisterung. Ein Kleid, schulterfrei und mit geschnürter Taille! Niemals würde sich in Köthen eine Dame so kleiden! Doch wie elegant, wie schön diese Frau war! Dagegen mußte sie selbst sich in ihrem dunkelblauen Kleid, das unterm Busen gerafft war und dann in Falten bis zum Boden fiel, armselig und unscheinbar vorkommen.
    »Das ist meine Tochter Luise«, stellte Dr. Hahnemann vor, »und das Marquise Marie Mélanie d'Hervilly Gohier, meine Patientin aus Paris.«
    Die beiden Frauen begrüßten sich.
    »Ich freue mich, daß ich heute Ihr Gast sein darf.«
    »Die Freude ist ganz auf unserer Seite. Es kommt nicht oft vor, daß Vater …«, Luise warf ihm einen schnellen Seitenblick zu, »nun ja, daß er jemanden in unser Haus bittet.«
    »Dann ist die Ehre ja ganz besonders groß!« Mélanie schenkte Dr. Hahnemann ein Lächeln.
    »Ja, das kann man so sagen.« Der kratzige Unterton in Luises Stimme ließ Mélanie aufhorchen.
    »Aber so kommen Sie doch herein!«
    Samuel öffnete eine Tür. Der Raum, der sich vor ihnen auftat, war schlicht, aber gemütlich eingerichtet. Über dem Kamin hing ein Gemälde, das eine Frau um die sechzig zeigte, die über einem hochgeschlossenen Kleid mit ausladendem weißen Spitzenkragen eine rüschenbesetzte weiße Haube trug. Mit ernstem, fast fragendem Blick schien sie Mélanie zu betrachten.
    »Das ist unsere Mutter.«
    Überrascht fuhr Mélanie herum. Hinter ihr stand, wie aus dem Boden gezaubert, die Frau, die sie am Morgen zu Dr. Hahnemann gebracht hatte. Ihr Gesicht war etwas schmaler als das Luises, ansonsten sah sie ihrer Schwester sehr ähnlich. Welche von beiden die jüngere war, konnte Mélanie nicht sagen. Sie mußten fast gleich alt sein, vielleicht dreißig Jahre.
    »Charlotte kennen Sie ja schon«, sagte Dr. Hahnemann. »Meine beiden Töchter leben hier mit mir und versorgen mich aufs beste. Manchmal sind sie etwas streng … aber das bin ich vielleicht auch.« Er lachte und legte Charlotte den Arm um die Schulter. Dann wandte er sich wieder an Mélanie.
    »Möchten Sie einen Aperitif? Vielleicht ein Gläschen Holunderwein?«
    »Ja, gerne.«
    Samuel Hahnemann bot Mélanie einen Platz am Kamin an. Charlotte brachte ein bereitstehendes Tablett mit vier Gläsern

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