Hahnemanns Frau
darüber und einverstanden mit diesem Schritt, obwohl auch mein neues Leben im Hause meines Lehrers nicht einfach war. Zwar war Monsieur Lethière selbst von Adel und ein berühmter Maler, der einst große Erfolge feiern durfte, aber aufgrund des veränderten Geschmacks in der Kunst und eines gewissen Unvermögens, mit Geld umzugehen, war die Familie in wirtschaftliche Not geraten. Wir litten manchmal sogar Hunger. Und doch … konnte ich mich nun endlich geborgen fühlen! Trotzdem schmerzte mich die Trennung von meinem über alles geliebten Vater und meinem jüngeren Bruder unsäglich. Ich behielt es jedoch für mich und ließ es mir nicht anmerken.«
»Und Sie blieben bei dieser Familie?«
»Ja, ich blieb. Wir konnten behaupten, ich sei da, um Malerei zu studieren, was ja auch tatsächlich der Fall war. Von Monsieur und Madame Lethière wurde ich so sehr geliebt, als wäre ich ein Familienmitglied. Das gab dann allerdings wieder böses Blut bei ihren eigenen Kindern. Sie waren ja schon eifersüchtig untereinander, und nun war auch ich noch da und wurde ihnen gleichgestellt.«
Dr. Hahnemann nickte. Daß es mit Kindern und der Armut nicht immer einfach war, wußte er aus eigener Erfahrung. Seine Frau Henriette und er hatten selbst elf Kinder in die Welt gesetzt, von denen sie neun großziehen konnten und dabei oft genug am Hungertuch genagt hatten.
»Aber man brauchte auch das Geld, das mein Vater für mich bezahlte, und schließlich versuchten wir alle, das Beste aus den Umständen zu machen. Obwohl ich erst sechzehn Jahre alt war, hatte ich Geschäftssinn – was man von den Lethières nicht behaupten konnte. Ich übernahm deshalb die Finanzen der Familie, und es gelang mir mehrmals, sie vor dem endgültigen Ruin zu bewahren.«
»Sie scheinen eine mutige und entschlossene junge Dame gewesen zu sein und früh gelernt zu haben, Verantwortung zu übernehmen«, bemerkte Hahnemann.
»Es blieb mir nichts anderes übrig. Ich wolle überleben. Und zudem liebte ich diese Familie. Ganz besonders Madame, die einundzwanzig Jahre jünger war als ihr Gatte – für mich war sie wie eine liebe, große Schwester –, aber auch Monsieur selbst, dem ich Respekt zollte und einen großen Teil meines Könnens als Malerin zu verdanken habe. Auch mit Éa und Charles, Guillaume Lethières Enkelkindern, war ich besonders verbunden. Kurz vor seinem Tod gab er sie mir dann in Obhut, damit sie nicht in ein Waisenhaus mußten. Einige Jahre wohnten sie alle beide bei mir. Doch Éa hat schließlich geheiratet und zog fort; Charles, der jüngere, ist mir geblieben. Wir leben zusammen in meiner Wohnung in Paris wie Mutter und Sohn oder wie Geschwister, wenn Sie so wollen.«
Hahnemann hatte sich während des Gespräches fortwährend Notizen gemacht und nun das letzte Blatt Papier beschrieben. »Bitte, entschuldigen Sie, Madame!« Er legte die Schreibfeder hin, ordnete die bereits beschriebenen Blätter, stand dann auf und ging zu seinem Bücherschrank. Dort fand er in einer Schublade einen dicken Packen neuen Papiers und trug ihn zum Schreibtisch. Ohne Hast verstaute er einen Großteil davon im Seitenfach seines Schreibtisches, den Rest legte er neben sich zurecht. Dann forderte er Mélanie auf, weiterzuerzählen. Er sagte: »Mein liebes Kind!« Sein Blick und sein Lächeln waren indes alles andere als väterlich, was Mélanie keineswegs entging.
Sie erinnerte sich, wo sie stehengeblieben war. Ach ja – bei Charles, aber sie wollte noch von Andrieux und Gohier erzählen.
»Es gab drei liebe Freunde, die mich ganz besonders unterstützten und meine Mentoren waren. Von meinem Ziehvater Guillaume Lethière habe ich ja bereits berichtet. François Andrieux war mein Lehrer auf dem Gebiet der Literatur. Er war nicht nur Politiker, Anwalt und Mitglied des Rates der Fünfhundert, sondern vor allem ein glänzender Dramaturg und Dichter. Als Mitbegründer der Zeitschrift La Décade hatte er sich einen Namen gemacht. Auch und vor allem aber hatte er so wunderbare und berühmte Werke geschrieben wie das Epos Le Meunier de Sans-Souci . Dann war da noch mein lieber Freund und langjähriger Wegbegleiter Louis-Jérôme Gohier, dessen Namen ich neben meinem Mädchennamen mit Stolz und Achtung trage. Als ich ihn kennenlernte, war ich zweiundzwanzig, er bereits achtundsiebzig Jahre alt. Er schrieb damals seine Memoiren, denn er hatte ein bewegtes Leben als Politiker hinter sich. Er war Justizminister gewesen, hatte sich an der Revolution beteiligt, war
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