Hahnemanns Frau
Tanz.
»Und rechts, einen Schritt zurück, dabei den Arm nach oben … ja, so!«
Luise stolperte über den eigenen Fuß, Charlotte lachte ihre Schwester aus und stolperte prompt selbst, was die beiden zu neuen Lachsalven animierte.
Die feindselige Stimmung, die zu Beginn des Abends geherrscht hatte, war wie weggewischt. Hahnemanns Blick blieb auf dem Gemälde seiner Frau hängen. Es schien, als würde sie dem fröhlichen Treiben vom Kamin her zusehen. Der alte Mann seufzte. »Vier Jahre Trauer«, sagte er leise zu sich, »sind ja auch genug. Es ist gut, wenn wieder etwas Freude in dieses Haus einzieht!«
Als es elf Uhr schlug, erschrak Charlotte. »So spät schon! Madame wird müde sein. Wir müssen eine Kutsche kommen lassen.«
»Müde bin ich tatsächlich, aber eine Kutsche für die paar Schritte? Ein bißchen frische Luft wird mir guttun …«
Samuel stand auf. »Ich werde Sie nach Hause begleiten.«
Luise sah ihren Vater überrascht an. »Du hast Haus und Garten seit mehr als einem Jahr nicht mehr verlassen. Und nun gleich zweimal an einem Abend? Soll ich nicht doch nach einer Kutsche rufen?«
»Laß den armen Kutscher schlafen. Bis er angespannt hätte, bin ich längst wieder zurück.« Er holte Mélanies Mantille und legte sie ihr über die Schulter.
Mélanie lächelte die beiden Frauen dankbar an. »Ich hatte einen wundervollen Abend, den schönsten seit langer Zeit. Ich danke Ihnen.«
»Wir danken für den Tanz.« Auch Luise versuchte zu lächeln. Es schien ihr plötzlich wieder schwerzufallen.
Auf einmal ging Mélanie einen Schritt auf Luise zu, nahm sie die Arme und küßte sie rechts und links auf die Wangen. Auch von Charlotte verabschiedete sie sich so.
»Und bitte, sagen Sie Mélanie zu mir.«
Sie drehte sich um und ging zur Tür, wo sie wartete, bis Samuel ihr öffnete.
Hahnemanns Töchter sahen ihr verdutzt nach. Ein seltsames Benehmen hatte diese Pariserin. Sie wußten nicht, was sie davon halten sollten.
Der Weg zum Gasthaus war viel zu kurz, wie Mélanie fand. Bald standen sie und Hahnemann vor dem Haus und sahen sich in die Augen.
»Ich danke Ihnen, Marquise. Seit vier Jahren liegt die Trauer wie ein großer dunkler Schatten über uns. Meine Frau war eine ehrbare, treue und über alle Maßen liebenswerte Person. Meine Kinder und ich haben sie sehr verehrt, doch wie soll man weiterleben ohne ein Lachen? Ohne ein wenig Licht kann nichts blühen.« Er griff ihre beiden Hände und drückte sie.
»Dabei bin ich es doch, die Ihnen danken muß. Ich weiß gar nicht, wann ich mich zuletzt so geborgen fühlte wie heute abend. So voller Zuversicht. Es war mir auf einmal ganz warm ums Herz.«
Immer noch hielten sie sich an den Händen.
»Danke«, sagte Mélanie.
»Danke«, sagte Samuel und küßte sie rechts und links auf die Wange. Sie roch wie der Frühling, nach Lavendel und Narzissen, und eine Stimme flüsterte ihm zu: Halte sie fest! Aber dann ließ er sie doch los und öffnete die Haustür für sie.
Mélanie ging hinein.
Plötzlich war er wieder ganz förmlich. »Bitte kommen Sie morgen gegen zehn Uhr zu mir, um mir zu berichten, ob die Arznei, die ich Ihnen heute vormittag gab, schon eine Wirkung zeigt.«
An der Treppe drehte sie sich um. »Ja«, versprach sie mit einem Lächeln, »ich werde dasein.«
Fiebernächte
Magdalena knickste und sah schüchtern vor sich auf den Boden. Sie wußte, daß die Frau, die ihr geöffnet hatte, Charlotte Hahnemann war, die Tochter des alten Arztes.
»Die Marquise hat mich geschickt«, sagte sie. Den schwierigen fremdländischen Namen konnte sie nicht aussprechen, deshalb fügte sie an: »Ich meine die französische Marquise, die bei uns im Bunten Fasan abgestiegen ist.«
»Ja und?«
Plötzlich stand auch Dr. Hahnemann in der Tür. »Was ist mit ihr? Ich hatte sie zum Konsult erwartet.«
»Madame geht es sehr schlecht. Sie hat hohes Fieber, Kopfschmerzen und heftige, stechende Schmerzen im Bauch.«
Dr. Hahnemann nickte. »Lauf zurück und kümmere dich um sie. Ich werde gleich bei ihr sein.«
Als er eine Viertelstunde später Mélanies Zimmer betrat, war Magdalena dabei, ihr einen Wadenwickel anzulegen.
»Laß das!« befahl er. Seine Stimme klang nicht unfreundlich, aber bestimmt. Er zog sich einen Stuhl ans Bett und setzte sich.
»Wie geht es Ihnen, Madame?«
»Der Kopf tut so weh. Und heftiges Stechen im Bauch. Dazu habe ich das Gefühl zu verglühen. Und dann …« Ihre Augen wurden feucht. »Es ist mir, als würde mich ein Meer
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