Hahnemanns Frau
sie einige Künstler und hochgestellte Persönlichkeiten kennengelernt – aber eine Frau wie Mélanie war ihnen nie begegnet.
»Ich gebe auch Malunterricht und führe ein Atelier in der Rue Saint-Germain. In dieser Gegend von Paris leben viele Künstler und Dichter.«
Man hatte die Suppe fertig gegessen, und Charlotte entschuldigte sich, um den zweiten Gang zu holen. Luise half ihrer Schwester beim Abräumen.
Als die beiden in der Küche waren, drückte Dr. Hahnemann Mélanies Hand. Ihre langen, schlanken Finger schlossen sich um seine und hielten sie fest, dazu lächelten sie und blickten einander tief in die Augen.
»Ich hoffe, Sie nehmen meinen Töchtern ihre vielen Fragen nicht übel?«
»Aber nein! Ich möchte nur nicht den Eindruck erwecken, daß ich mich selbst für zu wichtig erachte.«
Dr. Hahnemann wollte etwas einwenden, doch da kamen seine Töchter zurück. Er ließ Mélanies Hand schnell los und griff nach seinem Glas, um einen Schluck Wasser zu trinken.
Luise und Charlotte hatten die Vertraulichkeit jedoch bemerkt und tauschten irritierte Blicke. Sie stellten die Platte mit Hirschbraten und je eine Schüssel mit dampfenden Kartoffeln und rotem Kohl auf den Tisch und setzten sich. Während Charlotte vorlegte und roten Wein einschenkte, herrschte ein hartnäckiges Schweigen.
Samuel hob das Glas. »Auf Ihr Wohl, liebes Kind. Dieser Wein ist ein Geschenk. Ein Freund brachte ihn aus Frankreich mit. Ich hoffe, er schmeckt Ihnen.«
Mélanie kostete. »Er ist ganz vorzüglich.« Sie lachte. »Um ehrlich zu sein, der saure weiße Wein aus Franken, den man hier meist vorgesetzt bekommt, ist nicht so sehr mein Fall.«
»Im allgemeinen müssen auch wir uns mit saurem Wein aus Franken begnügen.« Charlotte legte die Gabel hin und tupfte sich den Mund mit der Serviette ab. Ihre Stimme wirkte verärgert. »Rotwein aus Frankreich gibt es, wenn überhaupt, nur an Festtagen.«
»Außerdem trinkt Vater ohnehin viel lieber Weizenbier als Wein«, bemerkte Luise im selben schneidenden Ton. »Schmeckt Ihnen der Hirschbraten?«
Mélanie nickte. »Ja, er ist ganz ausgezeichnet!«
Nach dem Hauptgang gab es noch Zitronencreme, Kuchen, mit Zwetschgen belegt, und als Dessert Butter und feinen Käse. Dabei unterhielt man sich über Musik, Kunst, Politik und die Homöopathie. Vor allem an dem Dirigenten Philippe Musard waren Hahnemanns Töchter interessiert. Er war der Erfinder der Quadrille – eines Tanzes, der in letzter Zeit in ganz Europa in Mode gekommen war. Aber auch Walzer komponierte Musard mit großem Erfolg.
Als Mélanie erwähnte, daß sie einige seiner Konzerte besucht und ihn sogar persönlich kennengelernt hatte, taute das Eis zwischen ihr und Hahnemanns Töchtern wieder auf, und sie wurde bekniet, von ihm zu erzählen.
»Nun, er ist zweifellos ein begnadeter Musiker und ein Meister der leichten Muse. Auf jedem Ball spielt man seine Tanzmusik, in allen Gassen hört man seine Volksweisen oder Opernarien. Vor allem ist er aber für sein aufbrausendes Temperament bekannt. Immer wieder kommt es vor, daß er, wenn er mit einem Stück nicht zufrieden ist oder sich durch Unruhe im Saal gestört fühlt, wütend seinen Taktstock herumschleudert.«
»Unmöglich!« Luise schüttelte den Kopf.
»Doch, ganz sicher. Ich habe es selbst erlebt.«
»Und – können Sie die Quadrille tanzen?«
»Aber ja! Soll ich es Ihnen zeigen?«
»Freilich!« Luise sprang auf, ihre Wangen waren plötzlich rot vor Erregung. »Vater soll spielen, und Sie zeigen meiner Schwester und mir die Schritte!«
»Ich weiß nicht, das kann ich doch nicht!« wehrte Charlotte ab.
»Darum sollst du es ja lernen!« Luise zog ihre Schwester vom Stuhl und sah den Gast aus Frankreich erwartungsvoll an.
Mélanie hob ihren Rock so weit, daß man ihre Füße sehen konnte, und führte ein paar der Schritte vor. Hahnemanns Töchter versuchten sie nachzutanzen. Bald waren sie ganz versunken, lachten und vergaßen die Welt um sich her.
Samuel sah den drei jungen Damen zu und rauchte dabei seine Pfeife. Ein glückliches Lächeln lag auf seinem Gesicht. Wer hätte gedacht, daß in diesem Hause je wieder getanzt würde!
Später setzte er sich ans Klavier, und als Mélanie ihm ein Zeichen gab, spielte er ein paar Takte, bis sie ihn innehalten ließ und die Bemühungen ihrer beiden Schülerinnen korrigierte. »Noch einmal von vorne!« Sie nickte Samuel zu, der setzte ein – und bald konnten Hahnemanns Töchter mit Mélanies Schützenhilfe den
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