Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauer Angeline
Vom Netzwerk:
weiter zu wecken, bemühte ich mich stets um Zurückhaltung. Meinen jungen, von der Natur ziemlich wohl ausgestatteten Körper versteckte ich unter sehr einfacher, unauffälliger Kleidung. Ich schmückte mich nicht, ich betrug mich in jeder Weise vorbildlich, aber wie sehr ich mich auch bemühte, ich wurde von ihr zurückgestoßen, und sie tyrannisierte mich mehr und mehr.«
    Dr. Hahnemann war aufgestanden und hatte Mélanie ein Glas Wasser eingeschenkt. Er reichte es ihr nun und setzte sich wieder. Sie trank einen Schluck, bevor sie fortfuhr.
    »Weil man mich einlud und weil sie nicht nein zu sagen wagte, führte sie mich auf Bälle, aber am folgenden Morgen strafte sie mich dann für den Erfolg, den ich gehabt hatte, weil ich zum Beispiel eine gute Tänzerin war oder weil man mich für meine Klugheit oder Bescheidenheit lobte. Nach und nach geriet sie in eine solche Erregung gegen mich, daß sie fast wahnsinnig wurde. In ihren Wutanfällen, die ich ganz sicher nie provoziert habe, riß sie mir oft ganze Büschel Haare aus. Sie schlug mich grün und blau und zerkratzte mir das Gesicht mit ihren Nägeln, weil sie meinte, ich sei schöner als sie, und weil sie mich um meine Intelligenz beneidete.«
    Mélanie hob plötzlich wie beschwichtigend die Hände. »Aber bitte, Monsieur, glauben Sie nicht, daß ich das Andenken meiner Mutter nicht hochhalte. Ich erkenne auch die Not ihres Herzens. Sie hat sehr jung geheiratet, und sie sah sich neben ihrer etwas frühreifen, für ihren Geschmack viel zu schönen Tochter und ihrem heranwachsenden, gutaussehenden Sohn schnell altern. Das war schwierig für sie. Mein guter, verständiger, aber schwacher Vater hatte es zugelassen, daß sie die Herrschaft innerhalb der Familie völlig an sich riß. Zwar beklagte er die Torheit seiner Frau, doch ihm fehlte die Kraft, sie zur Vernunft zu bringen.«
    »Griff er denn überhaupt nicht ein?«
    »Anfänglich schon. Alles, was er jedoch tat, um mir hilfreich zur Seite zu stehen, reizte meine Mutter nur noch mehr, bis ihr Haß auf mich keine Grenzen mehr kannte. Da ließ er sie, aus Angst, mir noch mehr zu schaden, schließlich seufzend gewähren. Und weil auch ich ihn schonen wollte, wagte ich irgendwann nicht einmal mehr, mich bei ihm zu beschweren. Ich wußte, er schämte sich seiner Schwäche. Weil er sie aber nicht zugeben konnte, sagte er immer nur: ›Geh, ich will meinen Frieden haben!‹«
    Noch einmal nahm Mélanie einen Schluck Wasser, dann fuhr sie fort: »Eines furchtbaren Tages war ich mit meiner Mutter auf dem Lande, mein Vater blieb in Paris zurück. Meine Mutter geriet aus einem Grund, an den ich mich nicht einmal mehr erinnere, in solche Wut, daß sie ein langes, scharfes Messer ergriff und sich auf mich stürzte, um mich zu erstechen. Dazu schrie sie: ›Ich muß dich umbringen!‹«
    Mélanie faßte in ihren Ärmel und zog ein Taschentuch hervor. Hastig wischte sie sich damit über die Wangen.
    Dr. Hahnemann seufzte leise. »Armes Kind«, sagte er, griff dann über den Schreibtisch nach ihrer Hand und fragte: »Und wie alt waren Sie damals?«
    »Ich war fünfzehn.«
    Er notierte einiges, sah sie dann wieder an.
    »Ich war fünfzehn und versagte ihr in diesem schrecklichen Moment zum ersten Mal den Respekt. Ich warf mich auf sie und kämpfte mit ihr, um mein Leben zu retten. Das Messer verwundete mich an mehreren Stellen.« Wie zum Beweis hielt sie Hahnemann den rechten Arm hin und schob den Ärmel ein Stück hoch, so daß eine etwa fünf Zentimeter lange, dünne weiße Narbe zu sehen war. »Doch ich schaffte es schließlich, ihr das Mordwerkzeug zu entreißen, und floh nach Paris.«
    »Allein?«
    »Ja – und es war mitten in der Nacht! Ich hatte mir den Mantel meines Bruders übergeworfen und ein Pferd gesattelt. Von Blut und Schweiß verklebt, die Augen vom Weinen verschwollen, abgehetzt und vollkommen verzweifelt – so stand ich schließlich vor meinem Vater. Da sah er endlich ein, daß er nicht länger tatenlos zusehen konnte. Aus Furcht um mein Leben beschloß er, mich, sein geliebtes Kind, in die Obhut einer anderen Familie zu geben. So kam es, daß ich ab meinem fünfzehnten Lebensjahr bei Monsieur Lethière … Guillaume Guillon-Lethière, meinem Kunstlehrer, und seiner Familie lebte.«
    Samuel Hahnemann notierte etwas, lehnte sich dann zurück und sah Mélanie eine Weile still an. »Man hat Sie also weggegeben?« Die Frage klang rhetorisch, eher wie eine Feststellung.
    »Weggegeben – ja. Doch ich war froh

Weitere Kostenlose Bücher