Hahnemanns Frau
Langen Straße angekommen blieb er stehen und sah nach rechts und nach links. Eine Frau, die aus dem Krämerladen kam, grüßte ihn, er zog den Zylinder und grüßte zurück. Dann blickte er an der Fassade des Gasthofes hoch. Als er Mélanie am Fenster entdeckte, stutzte er. Doch plötzlich lachte er und verbeugte sich, wobei er den Hut mit einer eleganten Bewegung vor seine Brust zog.
Mélanie winkte hinunter, beobachtete, wie er über die Straße ging und dann aus ihrem Blickwinkel verschwand.
Zwei Minuten später klopfte er an ihre Tür. Sie hatte sich inzwischen in den Sessel gesetzt und sah ihm erwartungsvoll entgegen.
»Herein!«
Die Tür schwang auf, und Hahnemann trat ein.
»Guten Morgen, liebes Kind, wie ich sehe, geht es Ihnen schon viel besser.«
»Ja, sehr viel besser. Ich muß es zugeben – aber nur ungern. Denn vielleicht kommen Sie mich dann nicht mehr besuchen.«
Er legte seinen Mantel ab, nahm Mélanies Hand und beugte sich mit einem Kuß darüber.
»Bitte setzen Sie sich doch.«
Samuel zog einen Stuhl an den Tisch und nahm Platz.
Magdalena kam herein, sie hatte Mélanies Frühstück auf einem Tablett. Eine Tasse Brühe mit einem geklöppelten Ei, etwas Obst und Kuchen und eine Tasse Getreidekaffee.
Als sie Samuel Hahnemann sah, erschrak sie sichtlich und fing sofort an, sich zu entschuldigen, ganz so, als hätte sie Angst vor seinem Zorn.
»Ich habe Madame gesagt, daß sie nicht aufstehen darf, weil sie doch noch viel zu schwach ist. Aber sie hört ja nicht auf mich!« Sie setzte das Tablett ab und stellte das Geschirr auf den Tisch. Dabei zitterten ihre Hände, ein Löffel fiel zu Boden.
Mélanie lächelte. »Magdalena kümmert sich rührend um mein Wohlergehen! Obwohl sie mir noch vor drei Tagen erklärte, sie könne nicht glauben, was die Leute so reden – nämlich daß Sie ein Hexenmeister seien! –, hält sie Sie nun wohl doch für einen Zauberer. Eben, als sie mir aus dem Bett half, meinte sie, daß ich das Fieber überstanden habe und schon fast wieder gesund sei, das könne doch nicht mit rechten Dingen zugehen.«
Magdalena errötete bis über beide Ohren. »Entschuldigen Sie, Dr. Hahnemann. Aber … es ist … weil ich …«, stotterte sie. Doch dann faßte sie sich ein Herz, atmete tief durch und sagte gefaßt: »Weil ich meine Mutter sterben sah und zwei meiner Geschwister. Und die Hildegard, unsere Nachbarin, und meine Base auch. Meine Großmütter habe ich nie gekannt, beide starben, noch bevor ich auf der Welt war. Alle starben sie am Fieber. Bei der Hildegard war sogar ein Arzt! Er hat gesagt, man könne nicht viel mehr tun, als Wadenwickel anzulegen und die Fenster weit zu öffnen, um eine Zugluft zu veranstalten, die alles Gefährliche aus dem Zimmer vertreibt. Dann hat er sie zur Ader gelassen, doch das hat auch nicht geholfen. Sie ist wie die anderen gestorben, nur daß ihr armer, unglücklicher Mann dazu auch noch den Arzt bezahlen mußte. Und nun war Madame so krank und hatte so hohes Fieber. Plötzlich aber ist sie wieder gesund, und da dachte ich, das ist doch Zauberei! Denn wenn es Arztkunst wäre, dann müßten es doch alle Doktoren können, so wie Sie.«
Magdalena stand da mit gesenkten Augen, die Hände hatte sie unter ihrer Schürze versteckt. »Bitte entschuldigen Sie, Dr. Hahnemann, bitte nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich so dummes Zeug daherrede!«
Man sah es ihr an: Sie hatte Angst vor seinem Zorn. Wer weiß, vielleicht würde er sie schlagen, weil sie so vorwitzig war, oder – noch schlimmer! – dafür sorgen, daß der Wirt sie davonjagte.
Nichts dergleichen jedoch geschah. Im Gegenteil, Dr. Hahnemann forderte sie auf, näher zu treten und fragte: »Warum sollte ich dir übelnehmen, daß du fähig bist, einen klaren Gedanken zu fassen?«
Zum ersten Mal sah er sie wirklich an. Sie hatte eine hohe, intelligente Stirn und wache blaugrüne Augen, und unter ihrer weißen Haube lugten einige rotblonde Locken hervor.
»Sag, willst du es wirklich wissen, wie das mit meiner Heilkunst geht?« fragte er nach einigen Sekunden des Schweigens.
Statt laut Antwort zu geben, knickste sie und nickte heftig.
»Nun gut. Du hast die Marquise bestens versorgt, darum bin ich dir zu Dank verpflichtet und werde es dir erklären. Ganz sicher weißt du, daß manche Drogen einerseits hoch giftig sind, andererseits aber bei richtiger Anwendung auch heilend wirken können.«
»Ja, den Holunder darf man zum Beispiel nicht vom Baum essen. Wenn man ihn aber
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