Hahnemanns Frau
zutreffende Medikament und verabreichen es, erzeugt es im Körper des Patienten eine Reaktion, die wie eine zweite, künstlich hervorgerufene Krankheit wirkt und der ersten Krankheit die Kraft nimmt. So führt das Medikament schließlich zur Heilung.« Dr. Hahnemann lehnte sich zurück und sah sie an. »Nun, hast du es verstanden?«
Magdalena seufzte. »Es ist sehr schwer zu verstehen, aber ich vertraue Ihnen. Und wäre ich nicht nur eine einfache Magd und hätte genügend Geld, Sie zu bezahlen, dann würde ich Sie bestimmt zu meiner kleinen Tochter rufen.«
»Ist sie denn krank?«
Magdalena nickte. »Sie hat Blähungen. Sie weint den ganzen Tag und die ganze Nacht. Egal, was wir auch tun, wieviel wir sie herumtragen, auf sie einreden, was wir ihr auch geben … nichts vertreibt die Bauchschmerzen!«
Dr. Hahnemann nickte. »Dem Kind kann geholfen werden. Bringe deine Kleine zu mir in die Praxis. Sagen wir gleich morgen in der Früh?«
»Ja, aber …«
»Bezahlen brauchst du nichts. Das heißt …« Er zwinkerte ihr freundlich zu. »Eine Tasse Tee hätte ich gerne!«
Magdalena strahlte. »Natürlich, die hole ich gleich!« Sie knickste und ging.
Mélanie sah Samuel mit unverhohlener Bewunderung an. »Immer wieder erstaunen Sie mich von neuem, Monsieur. Ihre Herzensgüte, Ihre Wärme … ich kenne keinen Arzt der wie Sie ist und ohne Honorar helfen würde, für den eine einfache Magd soviel gilt wie ein Minister. Sie heilen mit dem Verstand ebenso wie mit dem Herzen. Sie nehmen die Menschen ernst. Sie lieben sie!«
»Nun ja, nicht alle«, warf er seufzend ein. »Um ehrlich zu sein, Dummheit bringt mich zur Raserei. Ich spreche nicht von fehlender Bildung, für die ein Mensch zumeist nichts kann. Nein, ich meine die Denkfaulheit und Borniertheit mancher Leute, die nicht vorhandene Herzensbildung, die Selbstgerechtigkeit und Arroganz einiger Herren, die sich für den Nabel der Welt halten und dabei nicht fähig sind, über den Rand ihres Suppentellers hinauszusehen.« Ärger stand ihm im Gesicht, Verbitterung schwang in seiner Stimme mit.
»Da verstehe ich Sie nur allzu gut, Monsieur!« Mélanie dachte an ihre Mutter. Sie dachte an Dr. Doyen. Sie dachte an Charles Delacroix – und die Reihe ließe sich endlos fortführen. »Sie wissen, wie ich es meinte.«
Er neigte sich zu ihr und drückte ihren Arm. »Ja, ich weiß. Ich danke Ihnen, Marquise.«
Sie sahen sich lange und tief in die Augen.
»Ich habe mir etwas überlegt!« platzte Mélanie plötzlich heraus, ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet. »Ich hoffe nur, mein Anliegen ist nicht zu …«, sie suchte nach Worten, »… zu vermessen! Ich bin begeistert von der Homöopathie. Alles, was ich bisher las und in diesen Tagen an mir selbst erfahren konnte, überzeugt mich aus tiefstem Herzen. Die Homöopathie ist eine wunderbare Kunst, und ich gäbe vieles, sehr vieles darum, sie erlernen zu dürfen. Dr. Hahnemann, bitte, ich möchte Ihre Schülerin werden!«
Samuel sagte nichts, er sah Mélanie nur lange und schweigend an. Es war so still im Zimmer, daß sie befürchtete, er könnte ihr Herz pochen hören.
Plötzlich klopfte es an der Tür, und Magdalena kam mit dem Tee herein. Sie stellte die Tasse vor Hahnemann auf den Tisch und ging wieder.
Noch immer sagte er kein Wort. Für Mélanie war dieses Schweigen unerträglich. Sie hielt es für ein Zeichen seiner Ablehnung. »Ich weiß, was Sie jetzt denken!« Sie stand auf, ging zum Fenster, drehte ihm den Rücken zu und starrte hinaus, denn er sollte ihre aufkommenden Tränen nicht sehen. »Sie denken: Was will sie die Homöopathie erlernen, wo sie doch gar kein Arzt ist und dazu auch noch eine Frau, die ohnehin nicht behandeln darf! Und wie will sie erkennen, woran ein Kranker leidet, wenn sie doch nicht einmal …«
»Aber nein!« Samuel Hahnemann war ebenfalls aufgestanden und hinter sie getreten. Er faßte sie an den Schultern, drehte sie zu sich herum und sah ihr tief in die Augen. »Nein, das denke ich nicht. Daß Sie eine Frau sind und auch kein Arzt, wäre kein Grund für mich, Sie nicht auszubilden. Bei Ihnen, Madame, davon bin ich überzeugt, wäre die Homöopathie in allerbesten Händen. Sie besitzen die Intelligenz und auch die Leidenschaft, die ich mir bei den Leuten wünsche, die meine Lehre verbreiten.« Sein Blick ruhte voller Zärtlichkeit auf ihr. »Ich habe nur so lange geschwiegen, weil ich so berührt war. Von Ihrem Temperament, Ihrer offenen Art. Der Kraft und der
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