Hahnemanns Frau
Geheimnis für uns behalten. Deine Töchter würden uns nicht bloß Steine in den Weg legen, sie würden alles tun, um unsere Hochzeit zu verhindern!«
»Meine Töchter lieben mich. Sie wollen mein Glück.«
Fast hätte Mélanie gelacht über soviel Naivität. Sie dachte an das Gespräch zwischen Geheimrat Freiherr von Gersdorff und Dr. Lehmann, das sie gezwungenermaßen belauscht hatte, und all die vapeurs et caprices , die sich Luise und Charlotte in letzter Zeit ihr gegenüber geleistet hatten.
»Nein«, beharrte sie deshalb. »Niemand soll etwas wissen! Wir werden heimlich heiraten. Nur bei meinem Vater solltest du ganz offiziell um meine Hand anhalten, Liebster.«
»Erwartet er das?«
»Meine Entscheidung wird er auf jeden Fall respektieren. Wir verstoßen ohnehin schon gegen alle Regeln. Ich bin siebzehn Jahre jünger als Henriette, deine erstgeborene Tochter. Ich bin deine Patientin und deine Schülerin. Man wird sich die Mäuler über uns zerreißen. Dabei geht es mir nicht um mich, sondern um dich – dein guter Ruf steht auf dem Spiel!«
Samuel nahm Mélanies Hand und küßte sie. »Du hast recht, liebes Kind. Ich werde deinem Vater schreiben.«
Sie gingen zur Tür. Bevor er sie öffnete sagte er: »Wenn wir unsere Hochzeit geheimhalten wollen, werden Sie die Vorbereitungen allerdings ganz allein treffen müssen, Madame.«
»Ich weiß, aber es muß sein!«
Abgesehen von ein paar spitzen Bemerkungen, die sich gegen Mélanie richteten, und Samuels Versuchen, zu vermitteln und einzulenken, verlief das Essen schweigend. Doch die Feindseligkeit hing in der Luft wie Samuels Tabakrauch, wenn er seine geliebte Pfeife anzündete. Selbst als Mélanie beim Abräumen des Tisches helfen wollte, wurde sie brüsk zurückgewiesen.
»Geben Sie sich keine Mühe. Charlotte und ich haben das bisher alleine getan und brauchen auch in Zukunft keine Hilfe!«
Luise rauschte mit einer Schüssel in Händen hinaus in die Küche, wo man sie ärgerlich mit Tellern klappern und mit der Schöpfkelle gegen den gußeisernen Topf schlagen hörte, der auf dem Feuer unter dem Rauchabzug stand, damit jederzeit heißes Wasser zur Verfügung war.
Mélanie seufzte. Diese Stimmung war nicht auszuhalten. Bilder ihrer Kindheit tauchten aus ihrer Erinnerung auf. Die Eifersucht der Mutter, die sie aus dem Hause getrieben hatte – und jetzt war es also die Eifersucht zweier mißgünstiger Töchter! »Aber nein«, flüsterte sie, und es klang wie ein Schwur, »diesmal werde ich mich nicht vertreiben lassen!«
In der Nacht konnte sie nicht schlafen. Unaufhörlich kreisten ihre Gedanken um ihre Liebe und diesen unhaltbaren Zustand, in dem sie sich befanden. Um sich die Zeit zu vertreiben, in der sie und Samuel sich nicht sehen konnten, ritt sie aus, übte sich im Pistolenschießen, malte oder studierte. Aber die Tage ohne ihn waren endlos, und die Sehnsucht fraß sie auf. Und dann: Dieses Köthen war ein Nest! Hier wurde jeder ihrer Schritte beobachtet!
Gegen vier Uhr morgens stand sie auf und schrieb Samuel beim schwachen Schein einer Kerze voller Sehnsucht einen Brief.
Mon amour – Liebster!
Sie leben nur ein paar Häuser die Straße hinunter, und doch sind Sie so weit von mir entfernt, daß mir der Mond und die Sterne näher scheinen! Ich leide, ich bin so einsam ohne Ihre Wärme und Ihre Kraft.
Sie haben mir gesagt: »Niemals habe ich jemanden so sehr geliebt wie Sie; wir werden uns bis in alle Ewigkeit lieben!« Auch ich empfinde so, und ich schwöre, in meinen Gedanken werden Sie für immer mein Gemahl sein; kein anderer Mann wird je seine profane Hand nach mir ausstrecken, kein anderer Mund je meinen Mund küssen. Ich schenke Ihnen mein Vertrauen und schwöre Ihnen ewige Liebe und Treue!
Ach, diese Nacht scheint kein Ende nehmen zu wollen. Wenn Sie doch nur bei mir wären und ich mich vertrauensvoll an Ihre Schulter lehnen könnte! Schon wäre alles viel einfacher, und die Geister, die durch meinen Kopf spuken, hätten keine Macht mehr über mich.
Ich sehne mich nach Ihnen und bin in Gedanken mit jedem Atemzug bei Ihnen!
Dies schreibt Ihnen Ihre für ewig in Liebe verbundene
Mélanie d'Hervilly Gohier.
Auch an den nächsten beiden Tagen konnten sie sich nur flüchtig sehen und ausschließlich im Beisein anderer Leute. Am Abend brachte Dr. Lehmann dann ein Brief für sie mit, in dem Samuel ihr schrieb, daß er in seiner Verzweiflung und Sehnsucht Magdalena gebeten hatte, gegen fünf Uhr morgens an seine Tür zu pochen und
Weitere Kostenlose Bücher