Hahnemanns Frau
Leidenschaft, mit der Sie der Welt begegnen. Und von Ihrer Schönheit. So eine Frau wünschte ich mir an meiner Seite. Sie könnte mir die Kraft geben, weiter gegen die Borniertheit der Meute zu kämpfen, die nichts von meiner Lehre versteht und mich einen Scharlatan schimpft. Madame, wenn ich nur ein wenig jünger wäre und auf ein Ja hoffen könnte, ich würde Sie nicht nur ausbilden, ich würde auch um Ihre Hand anhalten.«
»Sie würden um meine Hand anhalten?« Mélanie schüttelte den Kopf. »Ja, aber … aber warum tun Sie es dann nicht! Haben Sie nicht erst gestern zu mir gesagt: Schönheit ist nicht das, was uns aus dem Spiegel anblickt? So verhält es sich doch auch mit der Jugend und dem Alter! Man zählt die Jahre, doch was sagt das schon über einen Menschen aus? Und darüber, ob zwei sich verstehen, gemeinsam für eine Sache eintreten und ihr Leben teilen können?«
Samuel Hahnemann trat einen Schritt zurück und sah Mélanie ungläubig an. »Bedeutet das … Sie würden meinen Antrag annehmen?«
»Wenn Sie mich fragten – ganz sicher!« Sie lächelte. Zwei Grübchen bildeten sich auf ihren Wangen, ihr Blick war voller Zärtlichkeit.
»Ja dann … dann frage ich! Marie Mélanie d'Hervilly-Gohier, wollen Sie meine Frau werden?«
»Ja, Samuel Hahnemann – das will ich.« Ihre Augen glänzten, sie reichte ihm beide Hände.
»Sie will. Tatsächlich!« Sein Mund öffnete und schloß sich wieder, er schüttelte den Kopf, konnte es gar nicht begreifen. »Diese junge, schöne, intelligente Frau will tatsächlich die meine werden!« Er griff ihre Hände, küßte jeden Finger einzeln und schließlich auch ihren Mund. Dann lachte er. »Ach, und übrigens, Madame – nicht Samuel Hahnemann. Ich heiße Friedrich Christian Samuel Hahnemann! Dies nur um der Ordnung willen. Sie sollten doch wissen, wessen Gattin Sie werden.«
Zeit der Sehnsucht
Seit drei Wochen lebte Mélanie nun im Hause Dr. Lehmanns, der Samuels Assistent war und einen Teil seiner Patienten betreute. Samuel hatte sie dort einquartiert, weil es ihm nicht behagte, daß sie weiterhin in einem Gasthaus wohnte.
Mit Dr. Lehmann, seiner Frau Annelie und den Kindern verstand sie sich gut. Zum Glück, denn sie verbrachte mehr Zeit im Hause der Lehmanns, als ihr recht war, und viel zu selten konnte sie bei Samuel sein; zweimal die Woche abends zwei Stunden, in denen er sie unterrichtete, und hin und wieder am Vormittag eine halbe Stunde unter dem Vorwand, er würde sie behandeln.
Aber sie hatte es selbst so gewollt. Es schien ihr vernünftiger, seinen Töchtern zu verheimlichen, was zwischen ihnen vorgefallen war. Ihr Instinkt sagte ihr, daß Luise und Charlotte ihr nicht wohlgesonnen waren. In letzter Zeit verhielten sich die beiden auch immer merkwürdiger. Sie waren kratzbürstig, ja geradezu unhöflich und verfolgten sie und Samuel mit ihrem Mißtrauen.
Seit zwei Tagen war außer ihr auch der Homöopath Geheimrat Freiherr von Gersdorff im Hause Lehmann zu Gast. Unterwegs von Wittenberg nach Leipzig, hatte er den kleinen Umweg auf sich genommen, um seinen alten Freund Hahnemann wiederzusehen. Er war ein sympathischer älterer Herr, den Mélanie sofort in ihr Herz geschlossen hatte. Da sie aber offiziell nichts weiter als eine Patientin und Schülerin seines Freundes war, mußte sie sich seit seiner Ankunft noch mehr zurückhalten. Nun sah sie Samuel überhaupt nicht mehr. Ihr blieb nichts, als die lange Zeit ohne ihn für ihr Studium zu nutzen.
Nun saß sie wieder in Gottfried Lehmanns Arbeitszimmer und las in den Arzneiprüfungsberichten, die Samuel ihr gegeben hatte. Plötzlich hörte sie, wie unten die Haustür geöffnet wurde, und dann Schritte auf der Treppe. Sie sah auf. Es mußten Dr. Lehmann und von Gersdorff sein, die von einer Unterredung bei Samuel zurückgekehrt waren. Mélanie rechnete damit, daß sie ins Arbeitszimmer kommen würden, und sie hoffte auf einen Brief von Samuel. Weil sie sich so wenig sahen, schrieben sie sich und gaben die Briefe Dr. Lehmann mit, oder sie schickten das Mädchen.
Dr. Lehmann rechnete wohl nicht damit, daß sie sich zu so später Stunde im Arbeitszimmer aufhielt, denn er zog sich mit seinem Gast gleich ins Herrenzimmer zurück, das nur durch eine dünne Verbindungstür vom Arbeitszimmer getrennt war, wo sich die beiden Männer nun so laut unterhielten, daß Mélanie jedes Wort verstehen konnte.
»… sollten Sie sich nicht wundern. Immer schon waren Luise und Charlotte launisch und
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