Hahnemanns Frau
rechthaberisch und hielten ihren bedauernswerten Vater, der sie so hingebungsvoll liebt, für meinen Geschmack viel zu sehr unter dem Pantoffel.« Es war Dr. Lehmann, der das sagte. »Seit aber die Marquise im Hause ist, sind sie außer Rand und Band. Sie scheinen eifersüchtig zu sein und ihr jedes Quentchen Aufmerksamkeit, das er ihr zukommen läßt, zu mißgönnen. Ich habe selbst erlebt, wie sie, plötzlich und ohne anzuklopfen, das Ordinationszimmer stürmten wie ein Feldwebel das feindliche Lager, nur um zu sehen, was im Innern vor sich ging. Ich finde, er sollte die beiden zurechtweisen, aber so stark er sein kann, wenn es darum geht, sich gegen die Anfechtungen zu wehren, die man der Homöopathie entgegenbringt, so schwach, ja fast feige ist er im Umgang mit seinen Töchtern.«
Von Gersdorff pflichtete ihm bei. »Ich weiß. Luise war einmal lange Zeit krank und hatte so das ganze Haus beherrscht. Schon damals verhätschelte er sie viel zu sehr und ließ sich von ihr um den Finger wickeln. Für mein Dafürhalten war ihre Krankheit reine Hysterie und ein Druckmittel, die Aufmerksamkeit ihres Vaters ganz alleine für sich zu haben. Sie ist die Jüngste und, wie es scheint, in den Kinderschuhen steckengeblieben. Selbst ihren älteren Geschwistern, vornehmlich ihrem Bruder, dessen Pate ich bin, ist sie immer nur mit Eifersucht und Mißgunst begegnet.«
»Luise und Charlotte ziehen Hahnemann das Fell über die Ohren, und er merkt es nicht einmal! Auch die Herren seines homöopathischen Gesprächskreises ereifern sich darüber und bedauern es, Dr. Hahnemann so unterdrückt zu sehen. Wenn er doch auch gegenüber seinen Kritikern so viel Nachsicht walten ließe und ein wenig taktischer vorginge. Aber da explodiert er gleich wie ein Pulverfaß, das man angezündet hat. Und macht sich Feinde mit seinem Eigensinn und seiner Unversöhnlichkeit!«
Mélanie hatte genug gehört. Es war ihr unangenehm, lauschen zu müssen. Deshalb stand sie auf, öffnete die Zimmertür und schloß sie so laut wieder, daß man es nebenan hören mußte. Das Gespräch verstummte auch sofort und wurde dann viel leiser und mit unverfänglichem Inhalt fortgesetzt.
Mélanie nahm wieder am Schreibtisch Platz und versuchte sich auf ihr Buch zu konzentrieren. Doch das Gesagte ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Auch sie konnte nicht begreifen, wieso sich ein Mann wie Samuel, der so Großartiges zustande gebracht hatte und in ganz Europa verehrt wurde, derart der Willkür seiner Töchter auslieferte. Doch es war nun einmal so, und sie mußte dem Rechnung tragen.
Geheimrat Freiherr von Gersdorff war früh am Morgen abgereist. Obwohl Mélanie ihn mochte, war sie darüber froh, denn je mehr Leute um Samuel waren, desto schwieriger erwies es sich für sie, ihn zu sehen und ein paar Minuten mit ihm allein zu sein.
Doch nun endlich, nach vier Tagen, in denen sie sich nach ihm verzehrt hatte, hielt er sie wieder fest um die Taille, und sie lachten und schäkerten miteinander.
»Wenn ich es recht bedenke … hatten Sie nicht gesagt, Madame, Sie wollten niemals heiraten?«
»Ja, das habe ich. Aber da wußte ich ja auch noch nicht, daß es Sie gibt, Monsieur.«
Samuels Augen blitzen vor Vergnügen. »Liebes Kind«, sagte er, und dann drückte er sie an sich und küßte sie.
Als plötzlich die Tür aufflog, fuhren sie auseinander.
Luise stand vor ihnen und sah sie aus zusammengekniffenen Augen mißtrauisch an. Schon seit Tagen hatten sie und Charlotte das Gefühl, daß ihr Vater und die Marquise vertraulicher miteinander umgingen, als es schicklich und angebracht war. Und auch jetzt schien ihnen das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben zu stehen.
»Das Essen ist angerichtet«, verkündete Luise mit schneidender Stimme.
»Gut, wir kommen gleich. Ich erkläre Madame nur noch, wie sie eine Störung des Herzrhythmus erkennen kann.« Samuel griff Mélanies Hand und legte seine Finger auf ihren Puls. Er tat harmlos, aber Luise ließ sich nicht täuschen. Wut lag in ihrem Blick, die Tür flog ins Schloß.
»Wir müssen vorsichtiger sein, mein Liebster. Wir müssen ein Buch vor uns auf den Tisch legen, um immer den Eindruck zu erwecken, wir studierten – auch dann, wenn wir es einmal für einen Moment nicht tun.« Lächelnd hauchte Mélanie einen Kuß auf Samuels Wange.
»Ich finde, wir sollten es ihnen sagen!« Er seufzte. »Wir müssen es doch ohnehin einmal tun.«
»O nein, mon Dieu! Noch nicht! Ich beschwöre dich, wir müssen unser kleines
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