Hahnemanns Frau
ihrem Haus, und sie hatte immer öfter das Gefühl, diesen beiden liebenswürdigen Menschen eine Last zu sein. Sie sehnte sich danach, endlich an Samuels Seite leben zu können und sich nicht länger den Launen von Charlotte und Luise unterwerfen müssen.
Samuel selbst schien dieser unerträgliche Zustand von Heimlichtuerei noch schwerer zu fallen. Schon zweimal hatte er sich einem Freund anvertraut. Damals, als von Gersdorff da war, hatte er ihm mit der Bitte um Verschwiegenheit erzählt, daß er bald heiraten würde – den Rest konnte der Mann sich dann selbst zusammenreimen. Und Georg Heinrich Jahr, einem anderen Freund und Wegbegleiter, hatte er von seinen Absichten in einem Brief geschrieben.
Mélanie mußte ihn geradezu beknien, ihr Geheimnis weiterhin für sich zu behalten. »Wenn es bekannt wird, bevor wir verheiratet sind, wird man uns das Leben unerträglich schwermachen – die Klatschmäuler, die Zeitungsschmierer, Ihre Gegner, aber allen voran Ihre Töchter, Monsieur, werden uns in den Rücken fallen!«
»Aber liebes Kind, meine Töchter haben doch immer nur das Beste für mich getan. Wie kann ich sie auf einmal als meine Feindinnen betrachten?«
Er sah sie so unglücklich an, daß es ihr weh tat, und dennoch konnte sie nicht anders, als darauf zu bestehen: »Vertrauen Sie dem Instinkt einer Frau. Ihre Töchter hassen mich und würden vor nichts zurückschrecken, um mich vor Ihnen in Mißgunst zu bringen.«
Daß ihr Mißtrauen berechtigt war, zeigte sich zehn Tage vor Heiligabend. Sie hatte Annelie Lehmann porträtiert. Das Bild war nun fertig, und die beiden Frauen besahen es sich bei einer Tasse Tee.
»Sie haben mir geschmeichelt.« Annelie legte ihren Finger auf ihren Nasenrücken. »Hier, dieser häßliche Höcker, den haben Sie einfach weggezaubert.«
»Es ist die Perspektive. Von dieser Seite sieht man ihn kaum. Außerdem sind Sie viel zu streng mit Ihrem Aussehen, Annelie. Der kleine Höcker steht Ihnen gut. Er macht Ihr Gesicht interessant. Und überhaupt, ihr wunderschöner Mund und das Strahlen Ihrer Augen lassen niemandem die Zeit, einen gewissen Höcker auf Ihrer Nase zu entdecken.«
Annelie lachte. »Im Komplimente machen sind Sie so geschickt wie ein Mann.«
»Es ist kein Kompliment, es ist die Wahrheit.«
»Sehen Sie!« Wieder lachte sie, aber plötzlich wurde sie ernst und senkte den Blick auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen. »Ich muß Ihnen etwas sagen. Ich weiß nicht, wie … ich möchte niemandem zu nahe treten. Auch Charlotte und Luise nicht. Verstehen Sie, wir sind in gewisser Weise abhängig von ihrem Wohlwollen, und dies ist eine Stadt, in der man sich nicht aus dem Wege gehen kann.«
Mélanie sah sie besorgt an. »Es scheint etwas Schlimmes zu sein, wenn Sie so lange um den heißen Brei herum reden.«
»Man erzählt sich, Sie, Marquise, seien eine Hochstaplerin.«
»Sie meinen, diese beiden Intrigantinnen erzählen das?«
Mélanie war aufgesprungen. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Aufgebracht lief sie hin und her.
»Ich bitte Sie sehr, regen Sie sich nicht so auf, Marquise. Man kann solchen Dingen nur mit Ruhe und Besonnenheit begegnen. Ich fand, Sie müssen es wissen. Die ganze Stadt spricht bereits darüber.«
Mélanie blieb vor ihr stehen und sah sie wie aus weiter Ferne an. »Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Annelie. Es zeigt mir, daß Sie eine wirkliche Freundin sind. Ich werde Ihnen das nicht vergessen. Und ich werde auch Ihren Namen nicht erwähnen, verlassen Sie sich darauf. Aber natürlich muß ich mich wehren! Ich kann das doch nicht auf mir sitzen lassen.«
»Was werden Sie tun?«
»Selbstverständlich werde ich die Damen zur Rede stellen. Und ich werde Dokumente aus Paris kommen lassen, die nicht nur beweisen, wer ich bin, sondern auch, daß meine Besitzungen mir mehr einbringen, als diese beiden Schlangen sich träumen lassen!«
Mélanie ging zur Tür, dort drehte sie sich um. »Danke für den Tee, Annelie, und auch für alles andere, was Sie für mich getan haben.«
»Ich muß mich für das wunderschöne Bild bedanken. Ich werde es meinem Mann zu Weihnachten schenken.«
Mélanie nickte. Dann zog sie die Tür hinter sich zu.
Mélanie wartete ab, bis beide Fenster des Ordinationszimmers zum Durchlüften geöffnet wurden. Das war das Zeichen, daß auch der letzte Patient gegangen war. Als kurz darauf Dr. Lehmann auf die Straße trat und nach links die Wallstraße hinunterging, konnte sie sicher sein, daß außer Samuel
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