Hahnemanns Frau
Ihrem Alter entsprechen! Ich bitte Sie, Madame, was sollen wir davon anderes denken, als daß es Ihnen um unseres Vaters Geld und den Glanz seines Ruhmes geht, in dem Sie sich zu sonnen gedenken?«
Fassungslos schüttelte Mélanie den Kopf. »Ich stamme von altem französischen Hochadel ab. Ich habe Bekanntschaft gemacht mit der Familie Kaiser Napoleons. Ich zähle Leute wie François-Guillaume Andrieux, Abbé Grégoire, Balzac oder den Maler Delacroix zu meinem Freundeskreis. Die Heiratsanträge einiger in Paris hochgeschätzter Männer wie Louis-Jérôme Gohier oder Dr. Doyen und weitere Herren aus der Pariser première société habe ich abgelehnt. Auch das Geld, das mein verehrter Freund Gohier mir neben seinem Namen vermachte, habe ich nicht angenommen. Ich bin weiß Gott nicht darauf angewiesen, mich im Glanze Ihres Vaters zu sonnen oder hinter seinem, verzeihen Sie, recht bescheidenen Hab und Gut herzusein.«
Plötzlich stand auch Charlotte neben ihr und sah sie mit verhaßtem Blick an. »Na gut, vielleicht geht es Ihnen nicht um Geld und Ruhm. Um so schlimmer, daß Sie uns hinstellen wie dumme Hühner, die keine Ahnung haben von der Homöopathie …«
»Das tu ich nicht …«, fiel ihr Mélanie ins Wort, aber Charlotte redete unbeirrt weiter.
»Die Homöopathie ist ebensogut zu unserer Sache geworden, wie sie die unseres Vaters ist. Immer wieder haben wir am eigenen Leibe Arzneimittelprüfungen vorgenommen. Glauben Sie, es ist einfach, Substanzen einzunehmen, von denen Sie nicht wissen, was sie mit Ihrem Körper und Ihrem Gemüt machen werden? Auch wenn sich letztlich alles in Grenzen hielt und nie eine von uns zu Schaden kam, so haben wir doch das Ärgste riskiert. Wir haben Vaters Haushalt geführt, seine Patienten empfangen, unser Leben in seinen Dienst gestellt – und jetzt kommen Sie daher und wollen ihn uns wegnehmen!«
Inzwischen war Samuel aufgestanden und zu ihnen gegangen. Er stellte sich zwischen sie, sah sie eine nach der anderen an. »Kinder, ich bitte euch, was redet ihr denn da. Niemand will euch den Vater wegnehmen!«
Mélanie atmete tief durch. Sie zwang sich zu einem versöhnlichen Ton. »Ganz sicher hatte ich nie beabsichtigt, in Feindschaft zu Ihnen zu treten. Auch jetzt will ich das nicht, aber dennoch muß ich Sie ganz energisch darum bitten, meinen guten Ruf wiederherzustellen und dieses unselige Gerücht aus der Welt zu schaffen.«
Luise wandte sich abrupt ab. »Ihren schlechten Ruf hier bei uns in Köthen haben Sie selbst zu verantworten. Ihre zu freizügige Art, Ihre Kleidung, Ihr Benehmen – so etwas schätzt man hier nicht. In Herrenkleidern und ohne Begleitung durch die Gegend zu reiten, zu schießen und sogar zu schwimmen!«
»Noch weniger zeugt es von gutem Benehmen, jemanden zu verleumden.« Mélanie warf den Kopf in den Nacken. »Nun denn, ich hoffe, Ihr Vater kann Sie zur Vernunft bringen.« Sie streifte Samuel mit kühlem Blick. Dann nahm sie ihre Mappe, ihre Handschuhe und ging zur Tür.
»Aber um Gottes willen, so können wir das doch nicht stehen lassen, Marquise!« Dr. Hahnemann folgte ihr, nahm ihren Mantel und half ihr hinein. »Bitte warten Sie einen Moment, ich werde Sie nach Hause bringen.«
Mélanie sah ihn lange an. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich möchte die paar Schritte allein gehen. Und ich denke, ein Gespräch mit Ihren Töchtern ist nun wichtiger. Das muß geregelt werden. Ich bin keine Hochstaplerin. Meine Absichten sind ehrlich und von reinstem Gewissen.«
Samuel drückte ihre Hand. »Das weiß ich doch, Madame.« Er war versucht, sie in seine Arme zu ziehen, wollte ihr warmes Lächeln, ihren liebevollen Blick nicht missen, doch er wußte, daß es in diesem Moment keinen Weg zu ihr gab, denn sie war wie er – stolz, eigensinnig, von unbeugsamem Willen. Niemals würde sie, wenn sie glaubte, man habe ihr Unrecht getan, auch nur eine Handbreit von ihrem Standpunkt zurückweichen. Er öffnete ihr die Haustür, küßte ihr die Hand, sagte leise: »Ich schreibe dir, mon amour – ich liebe dich!« Dann sah er zu, wie sie mit erhobenem Haupt und stolzen Schrittes davonging. Auch wenn sein Herz in diesem Moment schwer war, huschte doch ein Lächeln über sein Gesicht. Ja, zum Donner, er liebte diese außergewöhnliche Frau! Gerade weil sie dieses ungestüme Temperament hatte und bereit war, der Welt die Stirn zu bieten.
Die Hochzeit
Hahnemanns Töchter nahmen sich in Zukunft zurück. Zwar begegneten sie Mélanie weiterhin reserviert,
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