Hahnemanns Frau
aber sie redeten nicht mehr über sie und stellten in der Öffentlichkeit keine Vermutungen über ihre Absichten oder eine eventuell zweifelhafte Herkunft an.
Mélanie hatte inzwischen einen Großteil der Papiere für die Hochzeit zusammen, und Pastor Schmidt, der sie auf den Übertritt zum lutherischen Glauben vorbereitete, war zu ihrem Vertrauten geworden. Zwar war ihm diese junge Pariserin mit ihren seltsamen Angewohnheiten suspekt, aber seine Menschenkenntnis sagte ihm, daß sie Dr. Hahnemann ehrlichen Herzens zugetan war und die Gerüchte um sie, die auch ihm zu Ohren gekommen waren, ein intrigantes Manöver sein mußten.
Um Luises und Charlottes Mißtrauen nicht über die Maßen zu strapazieren, trafen sich Mélanie und Samuel nun noch seltener. Einmal suchte sie ihn als Patientin auf. Doch um weiteren Verdächtigungen vorzugreifen, bat er Dr. Lehmann dazu. Nur in der kurzen Zeit, in der dieser etwas im Apothekenraum zu schaffen hatte, konnten sie eilig ein paar Küsse tauschen.
»Ich sterbe vor Sehnsucht!« flüsterte Mélanie. »Es ist grausam, daß wir uns nicht einmal mehr sehen, geschweige denn im Arm halten können!«
Er hob ihre Hände und drückte sie an seine Wangen. »In drei Tagen, Liebste, ist Weihnachten. Wenn du Dr. Lehmann und seine Frau zur Abendmesse begleitest, werde ich mich meinen Töchtern anschließen. So können wir uns vor der Kirche wenigstens für einen Moment in die Augen schauen und an den Händen fassen.«
»Ganz sicher werde ich das tun!« versprach sie und ließ schweren Herzens von ihm ab, als sie auf dem Flur Dr. Lehmanns Schritte hörten.
Die Tage bis zum Heiligen Abend verbrachte Mélanie damit, zu studieren, Briefe zu schreiben, als Weihnachtsgeschenk für die Lehmanns von deren Kindern Miniaturen zu malen und für Samuel ein paar Zeilen zu dichten. Doch obwohl ihre Zeit damit ausgefüllt war, wollten die Tage einfach nicht vergehen.
Dann endlich kam das ersehnte Wiedersehen. Man traf sich am 24. Dezember zur Nachtmesse am Eingang der Agnus-Kirche, begrüßte sich und tauschte ein paar Floskeln aus. Der Preis für Samuels Lächeln, seinen Händedruck, einen langen, sehnsuchtsvollen Blick war ein fast drei Stunden langes Ausharren in der eisig kalten Kirche. Pastor Schmidt predigte über die Liebe zu Christus, die Demut und die Dankbarkeit für eine Erlösung, die den Menschen bevorstand, wenn sie einst in das ewige Reich einkehrten.
»Nicht hier auf Erden liegt das Glück – es liegt in Gottes Schoß!«
Mélanie spürte Samuels Blick in ihrem Rücken und seufzte leise. Vielleicht dachte er nun gerade an ihren Schoß und an eine andere Art von Liebe und Glück als die göttliche. Sie dachte ebenfalls daran und konnte nichts Verderbliches dabei finden! Wenn es wirklich einen Gott gab, der ihnen die Liebe ins Herz legte und ihre Lenden glühen ließ, weshalb sollte dann etwas Schlechtes dabei sein?
Später, vor der Kirche, wünschte man sich frohe Weihnachten, und weil die Hahnemanns und die Lehmanns denselben Heimweg hatten, traten sie ihn gemeinsam an.
Erst am Neujahrsmorgen begegneten sie sich wieder – auch diesmal anläßlich des Gottesdienstes. Mélanie wußte, daß er ihn nur besuchte, um sie sehen zu können, denn für ihn war die Kirche kein Ort, den er gerne und regelmäßig aufsuchte.
Während sie sich begrüßten, steckte sie ihm heimlich ein Billet zu, in dem sie ihm mitteilte, daß sie an diesem ersten Tag des neuen Jahres am Abendmahl teilnehmen und damit ihr Übertritt zum lutherischen Glauben rechtsgültig sein würde. Weiter schrieb sie: Auch alle anderen Papiere für die Hochzeit habe ich zusammen, und die Ihren liegen, wie Ihr Rechtsanwalt mich bat, Ihnen das mitzuteilen, seit ein paar Tagen ebenfalls vor. Pastor Schmidt erwartet uns beide am Morgen des 3. Januar zu einem Gespräch, und dann können wir den Termin für die Trauung festlegen.
Seine Antwort kam schon am selben Mittag, kaum daß sie wieder zu Hause war. Er hatte an die Seite ihres Briefes geschrieben: Ich werde da sein, mein liebes Kind. Schon bald werden wir den Bund der Ehe schließen, und dann wird uns nichts mehr trennen können!
Die Hochzeit wurde auf den 18. Januar festgesetzt. Um kein Aufsehen zu erregen, einigte man sich auf eine Haustrauung. Aus demselben Grund beschloß Mélanie, nach Leipzig zu fahren, um dort alles Nötige für die Hochzeit zu besorgen. Sie ließ sich ein schwarzes Kleid mit weit ausladendem weißen Spitzenkragen anfertigen und kaufte einen weißen
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