Hahnemanns Frau
Steinen!
Den beiliegenden Artikel nimmt sich Ihre liebe Frau hoffentlich nicht zu Herzen. Bestellen Sie ihr meine Grüße und sagen Sie ihr, ich würde mich sehr geehrt fühlen, sie einmal als Gast in meinem Hause begrüßen zu dürfen.
Den Artikel las Samuel Mélanie nur ungern vor, aber sie bestand darauf.
Der große Vater der Homöopathie, Dr. Hahnemann in Köthen, hat am letzten 18. Januar in seinem 80. Lebensjahr abermals geheiratet – eine junge katholische Dame, Tochter eines Gutsbesitzers aus Paris. Damit wollte er der Welt wohl zeigen, wie sich seine Heilkunst an ihm verherrlicht. Der junge Mann ist noch in rüstiger Kraft und fordert alle Allopathen auf: Macht mir's nach, wenn ihr könnt!
Mélanie hörte wie versteinert zu. Sie für sich konnte Spott ertragen – aber daß man Samuel, dem die Welt so Großes zu danken hatte, mit so viel Häme und so wenig Achtung begegnete, verletzte sie bis in die Tiefe ihrer Seele.
Auch ein Brief von Hahnemanns altem Freund Freiherrn von Gersdorff aus Eisenach befand sich in der Post. Er gratulierte von ganzem Herzen, dann fügte er folgende Zeilen an:
Ich werde nun auch anderen mitteilen, wie glücklich Sie sind, und wünschte, Sie könnten mir zuvor noch melden, daß auch Ihr Körper sich wohl dabei befindet, da Ihre Feinde in aller Boshaftigkeit meinen, das Eheleben mit einer so jungen Frau werde wenigstens Ihr baldiges Ende zur Folge haben.
Das Gerede über ihre sexuelle Beziehung nahmen Mélanie und Samuel mal mehr und mal weniger gelassen hin. Als aber immer wieder böswillige Gerüchte aufflammten, die Mélanie als mittellose Schwindlerin hinstellten, wobei man behauptete, sie sei hinter Hahnemanns Vermögen her und habe seine Familie um ihr Erbe betrogen, ließ Samuel durch seinen Anwalt eine Erklärung veröffentlichten, in der er diese Behauptungen als schändliche Verleumdungen bezeichnete und mit Klage drohte.
Trost fanden die beiden in ihrer Liebe. Erst nachts, wenn sie die Tür ihres Schlafzimmers hinter sich geschlossen hatten und sich endlich unbeobachtet aneinanderschmiegen konnten, atmete Mélanie auf.
»Ich wünschte nur, deine Töchter würden endlich hinüber in ihr eigenes Haus ziehen! Ich hasse ihre betont verhaltene Geschäftigkeit und ihre vorwurfsvollen Blicke. Sie vergiften das bißchen Privatsphäre, das uns noch bleibt.«
»Bald ist es soweit«, tröstete er sie. »In einem der Zimmer müssen noch die Dielen ausgetauscht werden, dann kann ich die Möbelpacker und Handlanger bestellen und alles in ihrem Sinne einrichten lassen.«
»Und sie sollen das Mädchen mitnehmen! Berta ist an sie gewöhnt, mich mag sie nicht. Ich werde Magdalena bitten, zu uns zu kommen. Damit bist du doch einverstanden?«
»Magdalena? Aber natürlich! Alles, was du willst, meine Liebe.« Er küßte seine Frau auf die Lider, auf die Schläfen, roch an ihrem Haar und seufzte vor Glück. Und sie erwiderte seine Zärtlichkeiten und schmiegte sich noch enger an ihn.
»Alles, was ich will«, hämmerte es dabei in ihrem Kopf nach – alles, was ich will!
Aber was sie wirklich wollte, behielt sie in dieser Nacht noch für sich: weg aus diesem dunklen, engstirnigen Köthen! Zurück nach Paris, wo sie zusammen mit ihm, ihrem Gatten, ein ganz neues Leben beginnen könnte. Was sollte dieser große, begabte Mann hier in so einem furchtbaren Nest? Und was sollte sie hier, wo man ihr nur mit Unverständnis und Feindseligkeit begegnete? Köthen und sein Kleinbürgertum war einfach zu eng für Menschen wie sie.
Endlich waren Luise und Charlotte umgezogen. Nun wurde es ein wenig leichter – nicht nur für Mélanie, auch für Samuel. Entspannt lehnte er sich zurück und genoß die Zeit mit seiner jungen Frau. Er war unendlich froh, daß sie nicht länger auf leisen Sohlen durchs Haus gehen mußte und sich den Launen und der Eifersucht seiner Töchter ausgesetzt sah.
Auch Magdalena erwies sich als Glücksgriff. Sie war nicht nur rührig um Mélanies Wohl besorgt, sondern zeigte sich als begabte Haushälterin, der man unbesehen die Zügel in die Hand geben konnte.
Von da an widmete sich Mélanie ganz und gar der Homöopathie. Entweder sie studierte die Krankenberichte, die er all die Jahre über handschriftlich aufgezeichnet hatte und die nun in Leder gebunden in seinem Ordinationszimmer standen, oder sie war als seine Assistentin bei seinen Behandlungen anwesend. Dann schrieb sie in ihrer akkuraten Handschrift auf, was gesprochen wurde, und diskutierte anschließend
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