Hahnemanns Frau
gestorben war, hatte sie sich als Maitresse einiger junger Herren der oberen Gesellschaft einen zweifelhaften Ruf erworben.
Einige Sekunden war es so still im Raum, daß man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Doch plötzlich zog sich Sébastien das Laken vor die Lenden und herrschte das Hausmädchen an: »Was soll das? Was fällt dir ein, Madame hier hereinzubringen?«
»Ich sagte doch, sie ließ sich nicht zurückhalten!«
Mélanie hatte die ganze Zeit über wie erstarrt dagestanden. Auf einmal kam wieder Leben in sie. »Was bezwecken Sie mit diesem Spiel, Monsieur?« Ihre Augen funkelten Sébastien an.
»Madame, ich schwöre, ich hatte keine Ahnung!«
Sie sagte nichts, doch ihr Blick war voller Ekel und Abscheu. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und eilte davon. Den langen Weg durch den Flur, die Treppe hinunter, über den Innenhof nach draußen. Die Haustür fiel hinter ihr ins Schloß.
Die Kutsche hatte inzwischen gewendet und stand nun auf der anderen Straßenseite. Von dem Jungen war nichts mehr zu sehen. Mélanie atmete die kühle Nachtluft tief ein und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Was war in Sébastien Colbert gefahren, sie in eine derart brüskierende Lage zu bringen? Was hatte das zu bedeuten? Als sie in ihre Röcke griff, um die Straße zu überqueren, fiel ihr Blick auf eine Kutsche, die in einer Seitenstraße stand. Sie kannte die Karosse – sie gehörte Doyen.
»Doyen!« Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sébastien Colbert und Doyen steckten unter einer Decke! Und sie hatte Sébastien gemocht, hatte ihm vertraut! Das würde sie ihm nie verzeihen.
Als Mélanie nach Hause kam, waren alle außer Dr. Chatron gegangen. Samuel und er saßen im Herrenzimmer, rauchten und sprachen über das, was vorgefallen war. Als Mélanie ins Zimmer stürmte, sprang Samuel auf und ging ihr entgegen.
»Hör nur, was dieser Bastardhomöopath sich herausgenommen …« Er brach ab und starrte seine Frau entsetzt an. »Was ist denn los mit dir? Ist etwas passiert? Rose sagte, du seist zu einem Kind gerufen worden.«
Mélanie sank wie erschlagen aufs Sofa. Sie war weiß im Gesicht, in ihren Augen sammelten sich Tränen. »Ein Komplott – man hat mir eine Falle gestellt! Für diese Madame David mußte mein Auftritt ja aussehen, als hätte ich ein Verhältnis mit Sébastien Colbert … als hätte ich ihm eifersüchtig nachspioniert!«
»Langsam, mein liebes Kind.« Samuel setzte sich zu ihr und nahm ihre Hände. »Erzähle der Reihe nach. Was ist passiert? Du warst also nicht bei einem Kind?«
Mélanie beschrieb den beiden Männern, was vorgefallen war, und berichtete auch von der Kutsche und ihrer Vermutung, daß Doyen hinter alldem steckte.
Dr. Chatron sah sie erstaunt an. »Ja, aber wissen Sie denn nicht, daß Sébastien Colbert Dr. Doyens Neffe ist?«
»Sein Neffe?« Mélanie sah ihn erstaunt an. »Ich wußte überhaupt nicht, daß er einen Neffen hat!«
»Das ist nicht verwunderlich. Sébastien Colbert und seine Eltern lebten bis vor einigen Monaten in London. Sein Vater war ein hoher Botschaftsbeamter und zudem ein enger Vertrauter des Earl of Ellenborough. Als Monsieur Colbert im Winter starb, zog es Sébastiens Mutter nach Paris zurück. Ihr Sohn begleitete sie, wollte eigentlich nur ein paar Wochen bleiben, aber daraus wurden Monate, und wie es scheint, läßt ihn unsere Stadt nun gar nicht mehr los. Er hat sich als Anwalt für Wirtschaftsfragen niedergelassen und arbeitet hauptsächlich mit einer Londoner Handelsgesellschaft und einigen Versicherungsunternehmen zusammen.«
»Sein Neffe!« Mélanie schüttelte den Kopf. »Aber warum läßt Doyen mich nicht endlich in Ruhe! Kann er es wirklich nicht verwinden, daß ich ihm einen Korb gegeben habe? Oder worum geht es sonst?«
»Um die Homöopathie, Madame Hahnemann. Wissen Sie denn nicht, daß Dr. Doyen schon vor Jahren mit Dr. Quin im Streit lag? Als Dr. Quin die Homöopathie in die oberen Kreise der Pariser Gesellschaft einführte, verlor Dr. Doyen einige seiner besten Patienten an ihn. Schon damals versuchte Doyen zu beweisen, daß die Homöopathie ein Blendwerk ist. Und dann verlor er auch noch Sie, Madame, an Dr. Hahnemann – zuviel für einen Mann wie ihn!«
»Aber er konnte mich doch gar nicht verlieren, denn er hat mich nie besessen! Ich habe nicht einen einzigen Gedanken an diesen Mann verschwendet.«
Samuel hatte Mélanie inzwischen ein Glas Likör gebracht. Nun gab er es ihr und sah zu,
Weitere Kostenlose Bücher