Hahnemanns Frau
mehr.«
Detwiller hob erstaunt den Kopf. Er wußte, daß es Hahnemann zeit seines Lebens finanziell sehr schlecht gegangen war, aber er wußte auch, daß er sich in den letzten Jahren in Köthen ein kleines Polster zugelegt hatte.
Hahnemann schien seine Gedanken erraten zu haben. »Ich habe mein gesamtes Vermögen meinen Kindern überschrieben, bevor ich nach Paris übersiedelte. Es gab gewissen Anschuldigungen gegen meine Frau, man unterstellte ihr, sie sei eine Heiratsschwindlerin und habe es nur auf mein Geld abgesehen. Aus diesem Grund beschloß ich … beschlossen wir, mein Haus mit leeren Händen zu verlassen. Nun lebe ich vom Geld meiner Frau und dem, was ich inzwischen mit meiner neuen Praxis verdiene. Aber wie Sie ja selbst gesehen haben, führen wir ein großes Haus und haben viel Personal. Nicht selten muß meine Frau von ihrem Vermögen etwas zuschießen, damit wir unseren Lebensunterhalt überhaupt bestreiten können. Sie verstehen gewiß, daß ich meine Frau nicht um noch mehr Geld bitten möchte.«
Enttäuscht nickte Dr. Detwiller. »Natürlich verstehe ich das.«
»Aber vielleicht …« Samuel überlegte eine Weile. »Es gibt da einen sehr bekannten Bildhauer. Er heißt David d'Angers und fertigt gerade zwei lebensgroße Büsten von mir an. Die eine hat meine Frau bestellt, die andere ist ein Geschenk von ihm persönlich. Wenn ich Ihnen damit einen Dienst erweisen kann, würde ich Ihnen eine dieser Büsten für die Ausstattung Ihrer Academy überlassen.«
»Selbstverständlich nehme ich dieses Geschenk gerne an.«
»Daneben können Sie natürlich auch mit meiner moralischen Unterstützung rechnen.«
»Das ist sehr freundlich, ich weiß Ihr Vertrauen zu schätzen.« Detwiller seufzte. Geld wäre ihm lieber gewesen, doch er sah ein, daß Hahnemann selbst in einer unerfreulichen Lage war.
Der Unfall
Charles reichte Mélanie die Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen. In ihrem eleganten Sommerkleid aus taubenblauem Musselin, der mit winzigen weißen Streublumen bedruckt war, sah sie wie immer zauberhaft aus.
»Danke, Charles.« Sie küßte ihn lachend auf die Wangen, dann hängte sie sich bei Samuel ein. Sie war glücklich, es ging ihr gut, sie wollte diesen Festtag in Begleitung ›ihrer beiden Männer‹ sorglos genießen.
Charles setzte den Zylinder auf und gab dem Kutscher Anweisungen, in genau drei Stunden an derselben Stelle auf sie zu warten. Dann spazierte er hinter Mélanie und Samuel her.
Die Champs-Elysées war voller Menschen. Lachende, plaudernde, schreiende Menschen, die sich auf den neu angelegten Spazierwegen drängten. Männer, die Zylinder schwenkten, Frauen mit roten, weißen oder blauen Schärpen und Schuten, die in den französischen Nationalfarben aufgeputzt waren. Kinder, die auf den Schultern ihrer Väter saßen, und andere, die herumtollten und »Vive la France!« riefen. Dazwischen Gesinde und Arme in zerlumpten Säcken, die von den feinen Leuten mißtrauisch beäugt wurden. Börsen mit Geld verstaute man zur Sicherheit am Körper unter der Weste, und Taschenuhren und Schmuck hielt man fest – noch besser hätte man diese Dinge zu Hause gelassen.
Man schrieb den 29. Juli im Jahre 1836. Ganz Paris war auf den Beinen, um dabeizusein, wenn der König den Arc de Triomphe einweihte, der noch von Kaiser Napoleon geplant und in Auftrag gegeben, aber erst jetzt fertiggestellt worden war.
Auch Sébastien Colbert befand sich unter den Leuten. Er hatte sich mit einigen Freunden verabredet, schien sie aber verfehlt zu haben, oder sie waren bei dem Gedränge nicht rechtzeitig durchgekommen.
Um einen besseren Überblick zu bekommen, stieg er auf den Sockel einer der Laternen, die es seit neuestem hier gab, und suchte die Menschenmenge mit Blicken ab. Zuerst sah er in Richtung Arc de Triomphe, dann in entgegengesetzter Richtung.
Seine Freunde konnte er nirgends ausmachen, doch statt dessen entdeckte er Mélanie und Samuel Hahnemann, in Begleitung von Charles Lethière. Nur ein paar Schritte von ihm entfernt, versuchten sie sich einen Weg durch die Menge zu bahnen.
Sébastien beobachtete, wie Mélanie hinter Charles und Samuel herging. Sie hielten sich an den Händen, um sich im Getümmel nicht zu verlieren. Lachend drängten sie sich bis zu einer Gruppe von Bäumen durch, unter der ein kleiner Trinkbrunnen aufgestellt war. Hier beugte sich Charles mit dem Gesicht unter den Wasserhahn, um sich zu erfrischen, Mélanie spannte ihren weißen Sonnenschirm auf, Dr. Hahnemann zog
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