Hahnemanns Frau
ein Komplott zwischen seinem Onkel und seinem Hausmädchen. Und was meine Frau betrifft … Sie wissen selbst, wie treu sie zu mir steht. Es gibt also keinen Grund, warum ich diesem Mann meine Freundschaft verwehren sollte.«
Dr. Chatron nickte. »So gesehen, haben Sie recht, aber die Damen und Herren der Pariser Gesellschaft vergessen nichts! Man zerreißt sich bereits die Mäuler. Gerüchte gehen um, daß Sie von Ihrer Frau und Sébastien Colbert schamlos betrogen und hintergangen werden. Ich wollte es Ihnen nur sagen, damit Sie gewappnet sind.«
»Ich weiß, Chatron, Sie meinen es gut, doch Sébastien gehört inzwischen fast schon zur Familie.« Er sah Dr. Chatron nachdenklich an, dann sagte er: »Was die Lästermäuler betrifft – ein Berg ist für die Wolken dasselbe wie ein Baum für die Hunde. Hauptsache ist, wir wissen, ob wir ein Berg oder ein Baum, ein Hund oder die Wolken sind. Und darum: Was die Leute sagen, interessiert mich nicht.«
Vier Wochen später zog das Ehepaar Hahnemann in das neue Haus in der Rue de Milan, am Rande der Stadt. Alles wäre wunderbar gewesen, hätte es nicht wieder neue Anschuldigungen gegeben. Es wurde behauptet, Hahnemann hätte den Tod eines jungen Kaufmanns verursacht. Es war aber Mélanie, die Monsieur Barbéris behandelt hatte – einen Neffen des Kutschers ihres Vaters, der sich tief verschuldet hatte, um aus dem Nichts einen Reithosenhandel aufzubauen.
Zufällig war sie bei ihrem Vater gewesen, als Monsieur Barbéris mit letzter Kraft die Türglocke zog. Mit kaltem Schweiß auf der Stirn, das Gesicht vor Schmerzen zu einer Grimasse verzogen, stand er da und bat darum, seinen Onkel sprechen zu dürfen. Doch das Mädchen, das ihm geöffnet hatte, holte nicht nur den alten Henry, sondern auch Mélanie, die gerade dazukam, als der Sterbende seinen Onkel anflehte, sich um seine Frau und das Neugeborene zu kümmern.
»Ich habe höllische Schmerzen im Bauch! Onkel, ich weiß, daß ich sterben werde. Ich bitte dich, sorge nach meinem Tod für Louise und unser Kind! Du mußt Louise heiraten! Ohne dich landen sie beide auf der Straße! Ich kann diese Welt nicht verlassen, wenn du mir nicht versprichst, für sie zu sorgen!«
Mélanie hatte dem Sterbenden dann einige Globuli Arsenicum gegeben, weil es den Bauchschmerzen entsprach und weil es einem Sterbenden Erleichterung verschaffte. Später hatte sie mit Samuel darüber gesprochen, und er hatte bestätigt, daß er genauso gehandelt hätte. Woher man aber wußte, daß Monsieur Barbéris in seiner letzten Stunde überhaupt von einem der Hahnemanns behandelt wurde, blieb unklar. Weder der Kutscher noch Mélanies Vater hatten etwas darüber verlauten lassen. Vermutlich hatte das Dienstmädchen über den Vorfall geredet, und man hatte den Namen Hahnemann in Zusammenhang mit Homöopathie unweigerlich mit Samuel in Verbindung gebracht.
Da die Gerüchte nun einmal in Umlauf waren, sprach sich Samuel dafür aus, den Irrtum nicht aufzuklären. »Am besten äußern wir uns überhaupt nicht dazu und lassen die Leute glauben, was sie wollen.«
Mélanie trug die Vorkommnisse zur Sicherheit ins Patientenbuch ein. Sie notierte alles genauestens: Datum und Uhrzeit, den Hergang, die Symptome, die ihr von dem Sterbenden berichtet worden waren und die auf einen Magendurchbruch hinwiesen, die genaue Mittelgabe und auch den Namen des Arztes, der Monsieur Barbéris vor seinem Tod behandelt hatte. Sie schrieb sogar darunter: Kein Honorar verlangt. Nur ob von ihr oder von Samuel behandelt worden war, ließ sie offen.
Die unglückselige Geschichte verfolgte die Hahnemanns jedoch. Es war wie ein Echo in den Bergen, das von allen Seiten widerhallte. Weil sie es gewesen war, die den armen Mann behandelt hatte, um ihm das Sterben ein wenig zu erleichtern, fühlte sie sich Samuel gegenüber schuldig. Er hatte ohnehin genug Ärger am Hals!
Paganini
Eines Mittags erschien Niccolò Paganini bei Samuel Hahnemann. Zum Glück war Charles im Haus und öffnete die Tür. Als ihm der berühmte Geigenvirtuose seine Visitenkarte reichte und ihm bewußt wurde, wen er da vor sich hatte, führte er ihn umgehend in den kleinen Salon, am Ende des Flures, um ihn nicht der Neugierde anderer Wartender auszusetzen. Dann sagte er Mélanie Bescheid.
Mélanie war eine große Bewunderin Paganinis. Als sie hörte, daß er in die Praxis gekommen war, um sich von Samuel behandeln zu lassen, reagierte sie vollkommen konfus. Sie konnte sich nicht mehr auf die laufende Anamnese
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