Hahnemanns Frau
seine Hände entgegen. »Und sehen Sie nur – immer öfter zittern meine Hände wie die eines alten Mannes!«
»Nun, Monsieur, auch das Händezittern dürfte eine Folge der Quecksilberpräparate sein.«
Mélanie sah erschrocken auf. Samuels Stimme klang ungewöhnlich scharf.
»Es sollte Ihnen außerdem klar sein, daß nervöse Erschöpfung und mangelnde Inspiration bei einem Mann, wie Sie es sind, weniger mit Krankheit als vielmehr mit einer unverantwortlichen Lebensweise zu tun haben. Wenn Sie ein Faß bis zum Boden leer schöpfen, wieso wundern Sie sich dann, daß am Ende nichts mehr drin ist?«
Paganini antwortete ähnlich aggressiv. »Muß ich das so verstehen, daß Sie mir nicht helfen wollen oder können?«
»Selbstverständlich kann ich Sie behandeln. Daß Sie sich vollkommen erschöpfen und in Exzessen ergehen, zeigt mir, welche Arznei Sie brauchen. Aber im Gegensatz zu Ihnen bin ich kein Wunderknabe! Zaubern kann ich nicht. Das Faß, von dem ich vorher sprach, müssen Sie schon selbst wieder füllen. Dazu brauchten Sie Ruhe, vernünftiges Essen, viel Bewegung bei Sonne und frischer Luft. Ein Medikament kann nur helfen, daß das Wasser in Ihrem Faß nicht fault – wenn Sie etwas mit diesem Vergleich anfangen können.«
»Ich mag maßlos sein, Monsieur le Docteur, aber ich bin kein Idiot!«
An dieser Stelle mischte sich Mélanie ein. »Meine Herren, das führt zu weit. Zwei erwachsene Männer von so viel Intelligenz sollten sich auch wie zivilisierte Menschen begegnen.«
»Dazu gehört aber, daß der eine die Besitzverhältnisse des anderen respektiert!« Samuel sah Paganini tief in die Augen. Es war wie ein stiller Zweikampf, der vom Schrillen einer Glocke unterbrochen wurde. Mélanie hatte nach Charles geläutet.
»Bitte kümmere du dich weiter um unseren Patienten.« Sie sah von Charles zu Samuel. »Dr. Hahnemann wird dir erklären, welche Arznei du Monsieur Paganini verabreichen mußt!« Es klang zynisch, wie sie das sagte. Dann verließ sie mit einem kurzen »Au revoir, Messieurs!« den Raum.
Es war ihr erster wirklicher Streit mit Samuel.
»Falls du mit Besitzverhältnissen mich gemeint hast«, fuhr sie ihn später an, »so muß ich dir sagen, ich bin niemandes Besitz! Auch deiner nicht!« Sie schüttelte die Hand ab, die Samuel versöhnlich auf ihren Arm gelegt hatte. Zorn brannte in ihren Augen.
»Und ich muß dir sagen, daß ich es nicht akzeptiere, daß ein Mann meiner Frau in derart unverblümter Weise nachstellt.« Er sah sie ruhig, aber bestimmt an. »Ich habe wirklich nicht vor, mich wie ein eifersüchtiger Gockel zu benehmen. Es gibt allerdings Grenzen. Dir zu sagen, daß du eine schöne, intelligente und anziehende Frau bist, ist eine Sache; dir mit eindeutigen Absichten den Hof zu machen eine andere.«
»Wie kommst du darauf, daß er mir den Hof gemacht hätte? Nur weil wir nahe beieinander standen?«
»Ich bin ein Mann. Ich kenne mich in den Schlupflöchern männlicher Seelen aus! Was würdest du sagen, wenn ich zum Beispiel so nahe an unser Linchen käme?«
Linchen war die Küchenmagd, gerade erst achtzehn und sehr hübsch. Mélanie dachte ernsthaft nach. Dann lachte sie plötzlich und sagte: »Ich würde ihr das Messer zeigen, mit dem sie unser Brot schneidet, und würde sagen: ›Das findest du zwischen deinen Rippen wieder, falls du es wagen solltest, meinem Mann schöne Augen zu machen!‹«
Nun war Samuel es, der lachte. »Das würdest du wirklich tun?« Er kam zu ihr, faßte sie um die Taille und zog sie zärtlich an sich.
»Ganz sicher, darauf kannst du das ganze Quecksilber nehmen, das man dem armen Paganini verabreicht hat!«
Als Paganini zwei Tage später wieder erschien, um über die Wirkung des Medikamentes zu berichten, stießen die beiden Männer neuerlich zusammen. Paganini behandelte Samuel wie Luft, richtete sich mit seinen Fragen und Aussagen ausschließlich an Mélanie. Als er sich dann beim Abschied auch noch erdreistete, Mélanies Hand wirklich zu küssen, statt den Kuß in aller Höflichkeit nur anzudeuten, konnte sich Samuel kaum noch beherrschen.
Zum endgültigen Bruch kam es aber erst, als ein Bote am nächsten Tag ein Billet von Paganini brachte, in dem er Mélanie – und zwar sie allein – zu seinem nächsten Konzert einlud.
Samuel schrieb ein Billet zurück. Der Inhalt war kurz und bündig.
Geehrter Paganini!
Da Sie sich meines Vertrauens nicht würdig erweisen, sehe ich mich gezwungen, die Behandlung abzubrechen. Ich bitte Sie, nicht
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