Hahnemanns Frau
wurden zu Rate gezogen, Dr. Doyen, Dr. Jacobus und einige andere von bestem Ruf, aber alles wurde immer noch schlimmer. Heute hatte man die Kleine schließlich aufgegeben. Die verzweifelten Eltern schickten nach mir, damit ich zu ihrer Erinnerung ein Porträt von der Kleinen zeichnen sollte. Natürlich fuhr ich sofort hin und fand folgende Situation vor: Der Raum war heiß und stickig. Es stank nach Schweiß, Angst und Krankheit. Rotglühend lag das Mädchen in ihrem Bettchen, und es schien mir, als würde sie regelrecht verbrennen. Ich nahm mir einen Stuhl, setzte mich und fing an zu zeichnen. Dabei hörte ich das Weinen der Mutter, das Beten der Bediensteten, den schweren Atem des Vaters. Es war grausig. Ich zeichnete und fühlte den Tod neben mir, wie einen kalten Hauch, der voller Ungeduld nach diesem jungen Leben gierte. Als ich mit meiner Arbeit schließlich fertig war, hatte mich das Mitleid ganz aufgezehrt. Ich fragte die Eltern, ob sie schon daran gedacht hätten, Dr. Hahnemann zu konsultieren.«
Duval seufzte. Er hob hilflos die Schultern, bevor er fortfuhr: »Das hatten sie gar nicht in Betracht gezogen. Sie hatten alles Schlechte über Sie gehört. Sie wissen ja selbst am besten, wie man über Sie so redet. Daß Sie ein Scharlatan seien und mit Medikamenten behandelten, die nur aus Zucker bestünden, der in Wasser aufgelöst ist. Ich erzählte, daß ich selbst Patient bei Ihnen sei und nur die allerbesten Erfahrungen gemacht habe, und gab zu bedenken, daß sie, die Legouvés, doch nichts mehr zu verlieren hätten, falls sie es mit Ihnen versuchten!«
An dieser Stelle wurde die Tür geöffnet, und Mélanie trat ein. Sie hatte sich wieder angezogen und reichte Duval die Hand.
»Es geht um ein vierjähriges Kind, das im Sterben liegt, die Tochter von Ernst Legouvé«, erklärte Amaury.
Mélanie nickte. »Ich dachte schon, daß es sich um einen Notfall handelt, und habe den Kutscher bereits anspannen lassen. Bitte erzählen Sie einfach weiter.«
»Nun, es war auch noch ein Freund der Legouvés anwesend, ein junger Mann, der hier ganz in der Nähe wohnt, und er riet den armen Eltern ebenfalls dazu, Sie zu konsultieren. Schließlich schlug ich vor, mit dem Mann hierher zu fahren und Sie dann zu den Duvals zu bringen – vorausgesetzt natürlich, Sie sind bereit, das Kind zu behandeln.«
Mélanie und Samuel tauschten Blicke. Schließlich stand Mélanie auf und ging zur Tür. »Ich hole die Tasche und sage Rose Bescheid, damit sie unsere Mäntel bringt.«
Es war bereits elf Uhr, als sie vor dem Haus der Legouvés ankamen. Sofort wurde geöffnet, und ein Mädchen führte die Hahnemanns über eine breite Treppe und einen langen Korridor in das Krankenzimmer. Die Eltern saßen am Bett. Die Mutter blaß, vom Kummer ausgezehrt, der Vater, den Kopfschmerzen quälten, rieb sich erschöpft die Stirn. Als er aufblickte und den Arzt wahrnahm, der plötzlich in der Tür stand, kam er auf ihn zu.
»Wir danken Ihnen, daß Sie so spät noch gekommen sind!«
Ohne ein Wort ging Samuel zum Krankenbett. Nachdem er die Kleine aufmerksam betrachtet hatte, fing er an, Fragen zur Krankheit zu stellen, ohne dabei einen Blick von dem Mädchen zu lassen.
Während der Vater antwortete, brachte die Mutter einen Korb mit Arzneien, die man dem Kind verabreicht hatte. Samuel starrte die Gläser und Flaschen an. Plötzlich verfinsterte sich sein Gesicht, die Wangenknochen spielten, die Adern an den Schläfen schwollen an, und mit unüberhörbarem Ärger in der Stimme befahl er: »Werfen Sie das ganze Zeug fort, nichts davon darf dem Kind noch gegeben werden! Dann bringen Sie das Bett aus diesem Zimmer, nehmen Sie frische Kissen, wechseln Sie die Bett- und Leibwäsche, und geben Sie dem Kind so viel Wasser, wie es nur trinken kann! Man hat aus ihm einen brennenden Ofen gemacht – bevor irgend etwas hilft, müssen wir das Feuer in ihr löschen.«
»Aber glauben Sie denn nicht, daß wir ihr schaden, wenn wir jetzt die Wäsche wechseln … und sie in ein kühleres Zimmer bringen … Das ist doch gefährlich!« Die Mutter brach mit einem Schluchzen ab, Tränen liefen aus ihren vor Müdigkeit und Trauer rotverquollenen Augen.
»Gefährlich«, entgegnete Samuel, »sind diese Medikamente, die abgestandene Luft hier und die Hitze. Bringen Sie das Kind in den Salon – und vor allem flößen Sie ihm Wasser ein, so viel irgend möglich! Ich komme in einigen Stunden wieder, und wir werden sehen, was wir tun können.«
Ein paar Sekunden
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