Hahnemanns Frau
Legouvé öffnete vorsichtig die Tür. Im Zimmer war niemand außer dem Kind, das schlief.
»Ich habe darauf bestanden, daß mein Mann sich hinlegt. Er ist ja nur noch ein Schatten seiner selbst.« Madame Legouvé schob einen Stuhl für Samuel ans Bett und fuhr ihrer Tochter mit einer zärtlichen Handbewegung über die Stirn.
Zufrieden stellte Samuel fest, daß der Puls deutlich kräftiger war und die Haut der Kleinen etwas rosiger aussah. Auch die Knie waren nicht mehr steif und das Fieber gesunken.
Er nahm die Hand des schlafenden Kindes und drückte sie sanft. »Du hast uns große Sogen bereitet, aber ich bin sicher, bald schon wirst du wieder lachend durchs Haus springen.«
Er stand auf, gab Madame Legouvé Anordnungen für die nächsten Stunden und versprach, am Abend noch einmal nach dem Kind zu sehen.
Eine Woche später saß die Kleine wieder aufrecht im Bett, aß mit Heißhunger Hühnerbrühe und Crêpe mit Kompott, sang mit ihrer Mutter lustige Lieder und ließ sich von ihrem Vater Geschichten erzählen.
Daß sie in Paris zu einer Sensation geworden war, ahnte sie nicht. Natürlich hatte das schwere Schicksal der kleinen Tochter des berühmten Dramaturgen und Schriftstellers die Runde gemacht. Die Pariser Gesellschaft hatte bereits mit einem pompösen Begräbnis gerechnet, einige Ärzte, allen voran Dr. Doyen, hatten sich über die Versuche eines Dr. Hahnemann lustig gemacht, ›mit nichts‹ das Leben des todgeweihten Kindes retten zu wollen.
Und nun war es also doch gelungen! Der Skandal war perfekt. Die einen sprachen von Wunder und Auferstehung, andere, vor allem die Medizinische Fakultät, zeigten tiefen Unmut.
Nicht dieser Quacksalber hat sie geheilt, sondern die Natur, war dem Leserbrief eines Arztes zu entnehmen, den eine Tageszeitung abgedruckt hatte. Und ein anderer schrieb: Ihm ist ganz einfach die allopathische Behandlung seiner Vorgänger zu Hilfe gekommen.
Die Legouvés nahmen diese Äußerungen kopfschüttelnd zur Kenntnis. Sie hatten nicht geahnt, mit wieviel Neid und Haß man diesem Arzt begegnete, der mit soviel Aufopferung und fachlicher Kenntnis das Leben ihrer kleinen Tochter gerettet hatte, und sie wußten auch nicht, wie sie ihm zur Seite springen konnten. Doch vollkommen fassungslos waren sie, als ein Arzt sich nicht einmal schämte zu sagen: »Ich bedauere sehr, daß das Kind nicht gestorben ist.«
Ein neuer Patient
Dr. Pierre Doyen hatte gehofft, Hahnemann würde sich mit seinen Versuchen, das Kind Ernst Legouvés zu retten, derart lächerlich machen, daß er sich damit von ganz alleine das Grab schaufelte. Doch nun war ihm die Rettung gelungen, und das Gegenteil war der Fall. Gleichgültig, mit welchen Schachzügen Doyen und seine Mitstreiter den alten Arzt aus Deutschland auch als Scharlatan zu entlarven versuchten, die Leute ließen sich nicht beirren und rannten den Hahnemanns die Türen ein. Selbst die Veröffentlichung eines Artikels, den Doyen von Christian Labourier, seinem Journalistenfreund, schreiben ließ, ging wie ein Schuß nach hinten los, denn so berühmte Leute wie Balzac, Lady Belfast, Anton Bohrer, Philippe Musard und allen voran Ernst Legouvé sprangen für die Homöopathie in die Bresche. Immer öfter war nun der Spruch zu hören: »Geh zu Hahnemann, dort stirbt man nicht!«
An einem Freitagnachmittag kam auch der Schriftsteller Eugène Sue in die Praxis. Er sah schlecht aus. Mélanie hatte sein feines Gesicht mit schön geschwungenen, bogenförmigen Brauen, dazu volles, dunkles Haar und einen ebenso dunklen Backenbart vor Augen. Doch nun war das Haar in kleinen Schübeln ausgefallen, und sie sah einen Mann mit fahler Haut, kleinfleckigem blaßrosa Ausschlag und eingefallenen Wangen vor sich.
Er beugte sich mit einem angedeuteten Kuß über ihre Hand. »Erinnern Sie sich an mich, Madame Hahnemann? Wir trafen uns einmal beim Eisessen.«
»Selbstverständlich. Monsieur Balzac hat uns bekannt gemacht.« Sie sah ihn forschend an. »Es scheint Ihnen nicht gutzugehen.«
»Um nicht zu sagen sehr schlecht!« Sue verbeugte sich vor Samuel, dann nahm er auf dem Stuhl Platz, den man ihm angeboten hatte.
»Ich weiß jetzt, ich hätte früher kommen sollen, aber immer wieder zu hören, daß Sie mit nichts als Wasser und Zucker behandeln, das verunsichert einen doch sehr. Zumal in meiner Lage – mit Geschlechtskrankheiten ist nicht zu spaßen. Ich habe einige Männer aus meinem Bekanntenkreis daran sterben sehen.«
Samuel nickte, sagte jedoch
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