Hahnemanns Frau
nicht.«
Sébastien war erstaunt. »Wieso glaubt sie, daß sie ein Recht auf diese Krankenjournale hat?«
»Die frühen Krankenjournale aus der Zeit, bevor ich Samuel kannte, blieben damals, bei unserer Abreise, in Köthen. Später, als wir in Paris zu praktizieren anfingen, ließ Samuel sie nachkommen. Luise behauptet nun, daß er versprochen hätte, sie ihr zurückzugeben. Er hat mir gegenüber so etwas nie erwähnt, im Gegenteil! An seinem Sterbebett bat er mich eindringlich, ich solle weder die sechste Überarbeitung des Organon veröffentlichen noch die Krankenjournale herausgeben. Er nahm mir das Versprechen ab, weiter zu praktizieren. Als ich ihm sagte, daß man mich wohl kaum ließe, wurde er zornig. Und jetzt frage ich dich – wie könnte ich weiter praktizieren, wenn ich nicht über Samuels Aufzeichnungen verfügte? Mrs. Erskin zum Beispiel war bereits in Köthen Patientin bei Samuel. Ich weiß, sie käme gerne zu mir, wenn ich die Praxis weiterführte. Wenn ich sie aber behandeln will, brauche ich die Krankenjournale. Ich muß ja ihren medizinischen Werdegang kennen und nachvollziehen können, wann und aus welchen Gründen sie welche Arzneien bekam.«
»Aber wenn überhaupt, hätte Luise doch ohnehin nur auf die alten Krankenjournale Anspruch.«
»Mehr will sie vorerst auch nicht. Doch hätte man die alten Krankenjournale veröffentlicht, wäre man sehr schnell auch hinter den neuen her. Außerdem hat Samuel mir, und zwar mir ganz allein, die Aufgabe übertragen, seinen homöopathischen Nachlaß zu verwalten. Und er hat mir genaueste Anweisungen gegeben! Ich allein werde bestimmen, wann was veröffentlicht wird – wenn überhaupt. Und ich schwöre dir, Sébastien, ich werde lieber mein Leben lassen, bevor ich irgendwelche Manuskripte meines Mannes herausgebe, ohne überzeugt zu sein, daß der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist.«
Inzwischen hatte sich Mélanie wieder gesetzt. Sébastien beugte sich nun vor und drückte ihre Hand. »Keine Angst, das mußt du auch nicht. Ich schreibe einen Brief an diesen Anwalt. Immerhin haben wir Zeugen, die bestätigen werden, daß Samuel gegen eine Veröffentlichung seiner sechsten Überarbeitung des Organon und auch der Krankenjournale war. Da ist zum Beispiel Georg Jahr; bestimmt weiß er davon. Da ist Charles. Und vor allem ist da dieser Verleger – wie hieß er noch?«
»Schaub.«
»Ja, Schaub! Samuel wird ihm ja erklärt haben, aus welchen Gründen er sein Manuskript zurückzieht und nicht veröffentlichen will. Kein Richter wird die Angaben dieses Mannes bezweifeln! Er war schließlich ein Leidtragender und hätte nichts lieber getan, als eine sechste Auflage herauszubringen.«
Mélanie lächelte erleichtert. »Danke, Sébastien. Ich bin froh, daß ich dich habe. Dich, Charles, und einige wenige andere, die mir beistehen, statt mir in den Rücken zu fallen.«
»Du kannst immer auf mich zählen.«
Mélanie nickte. »Ja, ich weiß.«
Eine Weile schwiegen sie. Mélanie starrte auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen. Dann hob sie plötzlich den Kopf. »Da ist noch etwas. Ich habe gehört, daß Charlotte und Luise den Köthener Schulmeister Franz Albrecht beauftragt haben, eine Biographie über ihren Vater zu schreiben. In dieser Biographie soll ihre Mutter als Heilige und ich als lieblose und treulose Gattin hingestellt werden.«
»Woher weißt du das?«
»Annelie Lehmann schrieb es mir. Sie ist die Frau von Samuels früherem Assistenten. Ich habe einige Zeit bei ihr im Haus gewohnt, und wir haben uns angefreundet. Franz Albrecht war Samuels Nachbar und ein Freund von ihm. Er war sogar bei unserer Hochzeit anwesend. Ich hatte geglaubt, er würde mich mögen, aber Charlotte und Luise haben wohl mehr Macht, als ich vermutete. Obwohl er sich offensichtlich nicht wohl fühlt bei dieser Arbeit, hat er sie doch in Angriff genommen.«
»Vielleicht hofft er, sich durch eine Hahnemann-Biographie einen Namen machen zu können«, gab Sébastien zu bedenken.
»Möglich, aber egal, aus welchen Gründen er es schreibt – ich möchte dieses gemeine Machwerk verhindern!«
»Das scheint mir das kleinere Problem zu sein. Ich werde dem Herrn ein wenig einheizen und ihm mit einer Verleumdungsklage drohen.«
Es klopfte. Charles trat ein. Er stellte sich hinter Mélanie und legte ihr eine Hand auf die Schultern. »Hast du es ihm schon gesagt?«
Mélanie sah zu ihm auf und schüttelte den Kopf, dann sah sie wieder zu Sébastien. »Da ist noch etwas –
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