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Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauer Angeline
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noch schlimmer, als zugeben zu müssen, daß ein anderer Ihnen beruflich überlegen ist. Und ich bin beides – eine starke Frau und Ihnen beruflich überlegen!«
    »Sie sollten vorsichtig sein, Madame.« Er war erst blaß, dann rot geworden, und die Adern an seinen Schläfen waren angeschwollen.
    »Ja, drohen Sie nur – drohen und erpressen, das ist alles, was Sie können. Doch damit kriegen Sie mich nicht klein, Monsieur.«
    Er ließ sie los. »Mag sein«, antwortete Doyen kalt. »Aber ich werde Mittel und Wege finden, Ihren verdammten Stolz zu brechen, darauf können Sie sich verlassen.«
    Mélanie antwortete nicht. Sie stand hoch erhobenen Hauptes da. Er ging an ihr vorbei und warf die Tür hinter sich zu.

Tod des Vaters
    Als Doyen gegangen war, legte sich Mélanie ins Bett und weinte sich in den Schlaf. Sie schämte sich für all die Tränen, die sie nicht zurückhalten konnte, und sie schämte sich, daß ihr die Kraft fehlte, diesen Tag und all die anderen Tage, Wochen und Monate seit Samuels Tod in Würde zu überstehen. Die Mordanschläge ihrer Mutter, die Hungerjahre ihrer Jugend, das Sterben ihrer besten Freunde hatte sie mit Haltung und einem gewissen Maß an Selbstachtung ertragen, doch Samuels Tod, gefolgt von alldem, was er nach sich zog, war einfach zuviel für sie.
    Manchmal wünschte sie, ihr Leben wäre so verlaufen, wie sie es nie gewollt hatte. Ein Mann, ein paar Kinder, ein Haushalt – mehr nicht. Dann hätte sie nicht mit einem Schlag alles verloren, was ihr Lebensinhalt gewesen war. Sie wäre nach Samuels Tod nicht mit Ansprüchen und Visionen zurückgeblieben, die plötzlich unerfüllbar geworden waren. Sie hätte den Gatten begraben, aber die Kinder wären ihr geblieben, und nach Verlauf der Trauerjahre hätte sie sich einen anderen Mann gesucht, an dessen Seite sie ihren Verpflichtungen als Ehefrau und Mutter nachgekommen wäre.
    Aber wie konnte sie Samuel austauschen? Wie konnte sie ihre Berufung als Homöopathin vergessen? Und wie konnte sie sich in Zukunft mit einem Leben ohne Inhalt zufrieden geben?
    Unmöglich!
    Sie hatte alles gehabt, und so hatte sie auch alles verloren … und mehr und mehr verlor sie nun sich selbst. Wie ein gehetztes Tier jagte sie durch das schauderhafte Dunkel ihrer tränendurchtränkten Schattenwelt. Die Tage wurden zu Nächten, in denen sie sich bleischwer im Bett wälzte und sich nichts als den Tod wünschte. Die durchwachten Nächte, in denen ihre Seele von quälenden Gedanken gepeitscht wurde, tröpfelten minutenschwer ins Stundenglas. Ihr Leben schien verkehrt und sinnlos, denn es gab kein Bild einer Zukunft, keine Hoffnung, kein Streben mehr. Die wunderbare Liebe, die sie durch Samuel erfahren hatte, forderte nun ihren Tribut – und der hieß unerträgliche Leere und Einsamkeit.
    Irgendwann fiel sie in traumschweren Schlaf. Ratten, so groß wie Hunde, trieben sie mit Peitschen durch die Straßen von Paris. Sie verbissen sich in ihre Kleider, die in Fetzen von ihr abfielen, bis sie nackt war. Keuchend schleppte sie sich fort und fand sich plötzlich in Samuels Gruft wieder, wo sie zusammenbrach und um die Gnade des Todes flehte. Doch da krallten sich Hände in ihr von Peitschenhieben malträtiertes Fleisch und rüttelten – rüttelten sie ins Leben zurück. Nicht sterben – Madame!
    »Sie müssen aufwachen, Madame!«
    Mélanie öffnete die Augen und sah Rose vor sich.
    »Ihr Vater, Madame. Es geht ihm sehr schlecht. Henry, der Kutscher von Monsieur d'Hervilly, ist gekommen, um Sie zu holen.«
    Mélanie setzte sich auf. Im Flackerlicht der Gaslampe, die Rose angezündet hatte, sah sie, daß es zehn Uhr war. Sie versuchte sich zu konzentrieren. Am Vormittag war sie noch bei ihrem Vater gewesen. Er hatte Krebs im Endstadium und quälte sich seit einigen Wochen mit argen Schmerzen. Wieder zu Hause, hatte sie Charles gebeten, Morphium zu besorgen, denn sie wollte ihren Vater keinen Moment länger leiden sehen.
    Noch halb im Traum verhaftet, starrte sie Rose an. »Ist Charles inzwischen da?«
    »Ja, Madame. Er ist im Apothekenraum und bereitet Arzneien zu.«
    »Dann soll er bitte zu mir kommen. Und richte mir das schwarze Wollkleid mit dem Leibchen.«
    Mélanie quälte sich aus dem Bett, goß Wasser in die Schüssel und wusch sich das Gesicht. Als es klopfte, legte sie ein Schultertuch um.
    »Rose hat es mir schon gesagt – deinem Vater geht es wieder schlechter.«
    Mélanie nickte und fragte nach dem Morphium.
    Charles gab ihr eine kleine

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