Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauer Angeline
Vom Netzwerk:
verzieh sie sich nie. Er war allein gestorben, während sie auf einer Bank im Park saß und darüber nachdachte, ob sie einem streunenden Jungen ein Paar Schuhe kaufen sollte.

Der Erfinder
    Der Winter war ungewöhnlich kalt und lang gewesen. Mélanie hatte sich in ihrer Wohnung verkrochen wie eine Bärin zum Winterschlaf. Nicht einmal in ihr Landhaus nach Versailles war sie gefahren, obwohl sie dort früher im Winter so gerne lange Spaziergänge unternommen hatte.
    Weihnachten hatten Charles und Sébastien bei ihr verbracht, damit sie nicht allein war. Sie hatten ihr auch einen Neujahrsgruß geschrieben und sie an ihrem Geburtstag zu einer Kutschfahrt nach St. Germain eingeladen, wo sie Kakao tranken und kleine Aniskuchen aßen. Nichts berührte sie jedoch, all diese Feste zogen an ihr vorüber wie Bilder aus einem anderen, fremden Leben.
    An Samuels Geburtstag hatte sie sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und den ganzen Tag weder gegessen noch getrunken. Nicht einmal zum Friedhof war sie gegangen, obwohl sie das sonst fast täglich tat. Aber sie hätte es nicht ertragen, auf Samuels Sarkophag starren zu müssen und dabei an all die rauschenden Geburtstagsfeste zu denken, die er und sie gemeinsam mit ihren Freunden gefeiert hatten. Zuletzt das Fest, an dem er sich auf einem Karussell den Tod geholt hatte. Ihre Schuld! Es war ihre Schuld, dafür mußte sie nun büßen!
    Doch das schlimmste war sein Todestag. Blaß und verzweifelt ging sie in der Sterbeminute von Uhr zu Uhr und hielt sie an. Samuels Uhren. Sein Zeitschatz. Seine Liebe zu schönen Dingen. Samuels Hände, sein Mund, sein Lachen. Samuel – wie sehr sie ihn vermißte! Nie wieder würde sie glücklich sein.
    Es folgte der Jahrestag ihrer Ankunft in Paris, der Jahrestag von Samuels Promotion, die sie für gewöhnlich noch größer als seinen Geburtstag gefeiert hatten, und schließlich jährte sich auch der Todestag ihres Vaters. Mélanie nahm es zur Kenntnis. Zeit hatte keine Bedeutung mehr für sie. Heute kroch sie im Schneckentempo, morgen zerrann sie wie Schnee im warmen Wasser. Bedeutung hatte allein der Schmerz.
    Daß Charles endlich sein zweites Studium abschließen konnte und nun Arzt war, gehörte zu den schönen Begebenheiten dieses Jahres. Hin und wieder empfingen sie gemeinsam Patienten, und wenn Charles keine Zeit hatte, stand ihr manchmal Dr. Deleau als Assistent zur Seite. Aber es kam auch vor, daß keiner von beiden Zeit hatte. Dann war sie mit ihren Patienten allein, womit sie ihre offizielle Kompetenz übertrat. War ein Arzt dabei, konnte sie notfalls behaupten, ihn nur beraten zu haben, und das war ihr erlaubt.
    Eines Tages kam ein gewisser Edwin Clifford in die Praxis. Mélanie war allein, denn Charles war nach Versailles gefahren, und Dr. Deleau hatte eigene Patienten zu betreuen.
    Der Mann war in Mélanies Alter, groß, etwas füllig und hatte ein freundliches, rundes Gesicht mit Grübchen in den Wangen. Sein blondes Haar hing ihm wirr in die Stirn, und er hatte die Angewohnheit, es mit einer Kopfbewegung nach hinten zu schütteln. Doch schon im nächsten Moment fiel es ihm wieder nach vorne.
    Er nahm Mélanies Hand und küßte sie.
    »Nun, wie kann ich Ihnen helfen?« fragte sie, nachdem sie ihm den Platz am Tisch angeboten hatte, der für die Patienten gedacht war.
    »Oh, falls Sie annehmen, ich sei krank und müßte homöopathisch behandelt werden – nein, darum geht es nicht!« Er legte eine Ledermappe auf den Tisch und tippte mit dem Finger darauf. »Es geht um etwas ganz anderes. Ich suche jemanden, der den Mut hat, an den Fortschritt zu glauben. Einen Partner für eine große Sache. Man sagte mir, in Ihnen könnte ich so jemanden finden. Sie seien mutig und aufgeschlossen und, mit Verlaub – auch ein wenig finanzkräftig.«
    Inzwischen hatte er einen Stoß Papiere aus seiner Mappe genommen und vor sich auf den Tisch gelegt. »Es ist nämlich so, Madame Hahnemann, ich bin Erfinder, und ich habe Pläne, einen Luftkompressor zu bauen. Nur fehlt mir das nötige Kapital dazu. Mein Schwager, einer Ihrer Patienten, würde sich gerne an dem Geschäft beteiligen, aber er kann sein Geld, das in einem anderen Projekt steckt, erst in zwei oder drei Jahren freibekommen. Doch mit Erfindungen ist das so eine Sache – man muß sie sofort auf den Markt bringen, denn sonst ist ein anderer schneller, und man hat das Nachsehen!«
    »Und dieser Patient hat Sie zu mir geschickt?«
    »Es handelt sich um Mr. Brown – erinnern Sie sich an

Weitere Kostenlose Bücher