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Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauer Angeline
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emaillierte Dose, die sie auf ihren Toilettentisch stellte. »Wie du es verabreichen mußt, habe ich dir gestern schon erklärt«, sagte er leise.
    »Ja. Danke.«
    Es klopfte. Rose trat ein, legte Rock und Leibchen aufs Bett und nahm Wäsche heraus.
    Mélanie sagte: »Ich werde also für einige Zeit im Hause meines Vaters bleiben, um ihn zu pflegen und ihm beizustehen. Ihr beide, du und Rose, wißt, wo ich zu erreichen bin. Wenn ein Patient nach mir fragt, laßt mich holen. Sébastien könnt ihr sagen, wo ich mich aufhalte. Ansonsten bin ich für niemanden zu sprechen.« Sie ging zu Charles, küßte ihn rechts und links auf die Wangen. »Ich danke dir für alles. Daß du mich liebst und erträgst und für mich da bist.« Sie sah Rose an. »Und dir danke ich auch.«
    »Ach, Madame. Das dürfen Sie doch nicht sagen, ich bin doch bloß …«
    »Zusammen mit Charles und Sébastien bist du das Wertvollste, was ich habe«, fiel Mélanie ihrer alten Haushälterin ins Wort. Dann sagte sie, an Charles gewandt: »So, und jetzt raus mit dir, ich muß mich beeilen.«
    Charles verließ das Zimmer, und Rose half Mélanie beim Umkleiden.
    Durch das Morphium wurde ihr Vater ruhiger. Mélanie saß beinahe den ganzen Tag an seinem Bett. Nachts schlief sie bei offener Tür im Nebenraum. Wenn sie ihn stöhnen hörte, ging sie zu ihm und nahm ihn in den Arm. Dann entspannte er sich zumeist ein wenig. Manchmal erzählte er wirre Geschichten aus früheren Zeiten. Sie hörte ihm zu. Sie wusch ihn und fütterte ihn, so gut es ging. Dann gab sie ihm wieder Morphium, und wenn er in einen erlösenden Schlaf sank, hielt sie ihm die Hand und streichelte ihn zärtlich.
    Um den Gedanken an den Tod wenigstens für ein paar Stunden am Tag entfliehen zu können, ließ Mélanie sich von Henry jeden Morgen gegen acht in den Bois de Boulogne fahren. Um diese Zeit war hier kaum ein Mensch unterwegs, und sie konnte ein Stück vor der Kutsche herlaufen oder an einem der Seen Enten füttern. Hier gab es auch eine junge Rotbuche, die auf einer weiten Grünfläche stand. Dort hatte man eine Bank aufgestellt, auf der Mélanie gerne saß, um dem Gesang der Vögel zu lauschen, die sich im Geäst über ihr tummelten. Oder sie dachte über ihr Leben, ihre Liebe zu Samuel und ihren sterbenden Vater nach.
    Sie hatte ihren très cher papa ihr Leben lang geliebt, und sie war ihm dankbar, denn ohne sein Wohlwollen, sein unkonventionelles Denken und seine liberalen Ansichten wäre sie nie geworden, was sie war. Er hatte ihr das Lesen beigebracht und damit ihren Horizont erweitert. Er hatte sie ermutigt, daran zu glauben, daß eine Frau ebensogut denken, handeln und über ihr Leben bestimmen konnte wie ein Mann. Er hatte es ihr ermöglicht, unverheiratet zu bleiben – bis sie Samuel traf, für den sich ihr Herz entschied, ohne von wirtschaftlichen Überlegungen genötigt zu sein. Daß ihr Vater manchmal schwach war und sie nicht vor ihrer gewalttätigen, verrückten Mutter schützen konnte, hatte sie ihm längst verziehen.
    Auch an diesem Morgen saß sie wieder auf der Bank im Bois de Boulogne. Es war kaum hell, und die Morgennebel hingen wie Wolken zwischen den Bäumen. Da kam ein Junge über die Wiese auf sie zugelaufen. Er war höchstens acht Jahre alt, und obwohl es Ende November zu so früher Zeit sehr kalt war, trug er keine Schuhe. Er mußte argen Hunger leiden, sonst hätte er sich einer Dame ihres Standes nie so weit genähert.
    Sie überlegte, was sie für ihn tun konnte. Bald würde Winter sein, und ohne Schuhe würde er vermutlich nicht überleben. Würde sie ihm allerdings Schuhe besorgen, würden die ihn in noch größere Lebensgefahr bringen. Man würde ihn schon an der nächsten Ecke überfallen, um sie ihm wieder abzunehmen und gegen etwas zu essen oder eine Flasche Fusel einzutauschen.
    Er blieb, einen Steinwurf von ihr entfernt, stehen und starrte sie an, ohne etwas zu sagen oder zu tun.
    »Wie heißt du?« fragte sie ihn.
    Er antwortete nicht.
    »Hast du Eltern oder sonst jemanden, der sich um dich kümmert?«
    Er antwortete nicht.
    »Hast du Hunger?«
    Er antwortete nicht.
    Als sie ging, legte sie ein paar Münzen auf die Bank, gerade genug für ein warmes Essen, und sie hoffte, man würde es ihm geben, ohne ihn zu prellen oder gar zu verprügeln. Dann würde er wenigstens für diesen einen Tag das Glück verspüren, satt zu sein.
    Sie ging, der Junge stürzte sich auf das Geld und rannte davon.
    Als sie nach Hause kam, war ihr Vater tot. Das

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