Hahnemanns Frau
mehr vermitteln können, als Samuel es gekonnt hatte. Aber sie war eben eine Frau, und das war wohl das wirkliche Verbrechen, dessen sie sich schuldig machte! Frau sein und trotzdem denken, handeln und etwas erreichen wollen, das war noch schlimmer als alles andere! Ein leises Klopfen ließ Mélanie aus ihren Gedanken schrecken. Rose schlüpfte ins Zimmer und kündigte einen Patienten an.
Der Name auf der Visitenkarte sagte Mélanie nichts. Sie sah auf. »Ist Charles noch im Hause?«
»Nein, Madame.«
Mélanie überlegte einen Moment, dann nickte sie. »Gut, Rose, führe ihn in den Behandlungsraum – ich komme gleich.«
Vor allem wenn männliche Patienten kamen, zog Mélanie es vor, daß Charles oder Dr. Deleau dabei waren. Schließlich galt es für eine Frau in ihrem Alter als unschicklich, mit einem Mann allein zu sein – erst recht, wenn sie ihn über sein Befinden befragen mußte. Andererseits konnte sie es sich auch nicht leisten, jemanden wegzuschicken.
Sie warf einen Blick in den Spiegel und stellte fest, daß ihr Äußeres keinen Grund zur Beanstandung gab. Darüber hinaus aber sah sie schlecht aus. Sie war blaß, ihre Wangen waren eingefallen, der Blick von den vielen schlaflosen Nächten verhangen. Man könnte meinen, man hätte es mit einer Schwindsüchtigen zu tun, und das war nun wirklich kein gutes Aushängeschild für eine Praxis!
Entschlossen ging sie in das Zimmer hinüber, das ihr als Ordinationszimmer diente. Dort bewahrte sie Samuels Bücher, die Krankenjournale, die Arzneien auf, und in der Mitte stand ein Tisch, an den drei Stühle gerückt waren. Einer für sie, einer für den Patienten, einer für einen Assistenten, der die Aufzeichnungen führte – sofern ihr jemand für diese Aufgabe zur Verfügung stand.
Sie öffnete die Tür, trat ein und zog sie hinter sich zu.
»Bonjour Monsieur!«
»Bonjour Madame.« Der Mann, der am Fenster stand und hinaussah, drehte sich zu ihr um. Da erkannte sie ihn. Es war Dr. Pierre Doyen.
»Sie werden verzeihen, Madame, aber hätte ich nicht diesen kleinen Trick mit der fremden Visitenkarte angewandt, hätten Sie mich wohl kaum empfangen. In der Öffentlichkeit sind Sie ja schon seit geraumer Zeit nicht mehr zu sehen.«
Ihre Antwort klang kühl. »Ich bin in Trauer, Monsieur, da gibt es keine Öffentlichkeit für mich.«
»Ich weiß, der Etikette muß Genüge geleistet werden.«
Mélanie zählte im stillen bis zehn, bevor sie fragte: »Worum geht es, Monsieur. Ich nehme nicht an, daß Sie hier sind, um mit mir über Etikette zu diskutieren oder sich gar von mir behandeln zu lassen.«
Er nickte. »Immer schon habe ich Ihren scharfen Verstand bewundert.« Er kam näher und sah ihr in die Augen. »Also gut, reden wir nicht lange um die Sache herum. Es geht um Sie und mich. Ich möchte mein Angebot wiederholen. Heiraten Sie mich – selbstverständlich erst nach Ablauf der Trauerzeit –, und Sie haben es nicht mehr nötig, sich mit einer dubiosen Praxis gegen das Gesetz zu stellen.«
Mélanie öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Perplex starrte sie Doyen an. Nie zuvor war ihr ein solch taktloses Benehmen untergekommen. Wie konnte dieser Mann nur annehmen, daß sie ihre Meinung über ihn je ändern würde! Wie konnte er nur so arrogant und vermessen sein zu glauben, daß er für sie Nachfolger eines Mannes wie Samuel Hahnemann sein könnte und sie sich ausgerechnet von ihm abhängig machen würde!
»Ich habe es Ihnen bereits vor Jahren gesagt: Ich werde Sie nicht heiraten! Niemals! Und ich möchte Sie bitten, mich nie wieder zu belästigen.«
Mélanie wollte sich umdrehen und zur Tür gehen, aber er packte sie am Arm, riß sie zu sich herum und starrte sie mit funkelndem Blick an.
»Sie dürfen nicht praktizieren! Sie sind eine Frau! Und Sie haben keine Qualifikation!«
»Ich habe ein Diplom, Monsieur, ausgestellt von der Allentown Homoeopathic Academy.«
»Mon Dieu!« Er lachte laut und hart. »Das Diplom, falls Sie es denn tatsächlich haben sollten, ist so gut wie nichts wert! Nicht bei uns in Frankreich, Madame. Ich werde Sie anzeigen, wenn Sie sich nicht endlich fügen.«
Mélanie schüttelte den Kopf. Sie konnte diesen Mann nicht begreifen. »Was hätten Sie von dieser Ehe, wenn sie doch nur erpreßt wäre.«
»Es geht nicht um die Ehe, schon gleich gar nicht um Liebe, Zuwendung oder sonstige Emotionen.«
»Nein, natürlich nicht. Es geht um Macht. Sie wollen mich in die Knie zwingen. Eine starke Frau ist für Sie beinahe
Weitere Kostenlose Bücher