Halb verliebt ist voll daneben - Roman
darauf.
»Was essen Sie da?«
»Oh … oh …«. Er stammelte fast. »Das ist nichts zu essen, das ist für Sie.«
»Hm.«
»Es sind in kalter Milch getränkte Tüchlein.« Ich fragte mich, ob Leo geistesgestört war. »Meine Mum hat immer gesagt, damit lasse sich ein Sonnenbrand am besten lindern.«
Ich berührte eins der Tüchlein an der Oberfläche. Sie waren eiskalt – göttlich. Leo stellte den Teller vor mich auf den Tisch. Ich betrachtete ihn. Und beugte mich dann in Zeitlupe wie jemand, der in einem Krimi getötet wird, nach vorn und tauchte mein Gesicht ein.
»Ich lasse sie Ihnen hier«, sagte er.
In dem Moment konnte ich ihm nicht danken, weil mein Gesicht im Waschlappenhimmel war. Die Leseprobe war vorbei und mein Gesicht war kühl. Wonne. Nur ein Gin Tonic hätte diesen Moment noch schöner machen können.
Ich spürte eine Hand auf meinem Rücken. Aber ich brachte es nicht über mich, meinen Waschlappenhimmel zu verlassen. Noch nicht. Dann nahm ich eine strenge Männerstimme wahr.
»Ich bin Miles Mavers, Sarah, der Stimmtrainer. Wir müssen miteinander reden.«
17
Und Miles Mavers hatte ein ernstes Wort mit mir zu reden. In aller Ausführlichkeit. Über meinen fürchterlichen amerikanischen Akzent. Ich muss zugeben, dass mich das dann doch überraschte. Monatelang hatte ich unglaublich hart an meinem amerikanischen Akzent gearbeitet. Mir war so sehr daran gelegen, dass ich eine Menge Geld ausgegeben hatte, um mich von einem Sprachtrainer schulen zu lassen.
Und dennoch hatte Miles Mavers so viel zu kritisieren, dass er mir für den nächsten Tag eine private Trainingsstunde bei ihm empfahl. Vielleicht bin ich zu britisch, aber ich hätte den späten Nachmittag oder späten Vormittag oder nach dem Mittagessen oder nach dem Brunch eine gute Zeit für ein erstes Sprachtraining gefunden. Deshalb überraschte es mich, als Miles unsere Stunde für kurz nach der Morgendämmerung festlegte. An einem Sonntag! Er wollte, dass wir uns an einem Sonntag um acht Uhr morgens trafen. Ich werde das wiederholen. AN EINEM SONNTAG UM ACHT UHR
MORGENS. So was gäbe es in England niemals. An einem Sonntagmorgen in England wird man sich um acht Uhr morgens höchstens noch mal umdrehen und einen kleinen Furz fahren lassen.
Und es ging nicht um einen x-beliebigen Sonntag um acht Uhr morgens. Es war acht Uhr an einem Sonntag nach einer Party. Und nicht irgendeine Party. Eine Martiniparty für die Besetzung und die Filmcrew zum Kennenlernen. Zum Glück für Miles Mavers hatte ich nicht vor, auf die besagte Party zu gehen. Für die von der Sonne Geplagten gab es keine glamourösen L.-A.-Film-partys, und so nahm ich seinen Vorschlag gern, na ja, relativ gern, an.
Jetzt frage ich mich, ob ich nicht bei Miles Mavers einen sechsten Sinn gehabt habe, denn sosehr ich mich auch bemühte, ich hatte nach unserem ersten Gespräch das Gefühl, nicht warm mit ihm werden zu können, und freute mich kein bisschen auf seinen Unterricht. Er war ein gedrungener kleiner stark gebräunter Mann. Ehrlich gesagt sah sein Gesicht aus, als wäre es aus Plastilin geformt und dann voller Wut eingedrückt worden. Doch er hatte die Aura und das großkotzige Getue eines Mannes, der glaubte, wie Brad Pitt auszusehen. Zu meinem Akzent hatte er nichts Ermutigendes zu sagen. Er sagte nicht: Mann, Sie sind so dicht dran, arbeiten Sie noch ein wenig an Ihren Vokalen, aber dann, Mädchen, dann kann Sandra Bullock einpacken. Er sagte nicht mal: gar nicht so schlecht. Es hieß immer nur: Da müssen wir dran arbeiten, das muss BEDEUTEND besser werden.
Also, ich gebe Leuten den Vorzug, die erst streicheln und dann zuschlagen. Leute, die sagen: Schätzchen, du
hast wirklich eine ganz besondere Begabung für die Bühne, aber sollen wir es nicht mal so und so versuchen? Miles Mavers gehörte jedenfalls nicht dazu. Er schlug, schlug und schlug, und er schlug RICHTIG fest zu – noch bevor wir richtig angefangen hatten.
Es war in vielerlei Hinsicht ein glücklicher Zufall, dass ich Miles Mavers nicht mochte, denn für kurze Zeit war ich dadurch so abgelenkt, dass ich aufhörte, mir wegen Simon und Ruth Gedanken zu machen. Traurigerweise blieb es dabei: Es hielt nur ganz kurz an.
An jenem Samstag vor unserem ersten Sprachtraining. »Klopf, klopf.« Ich hörte ein Klopfen und eine Männerstimme an meiner Tür.
»Klopf, klopf«, imitierte ich und lauschte, wie es klang. Ich war mir sicher, dass es amerikanisch klang, und ich war überrascht, wie schnell der
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