Halb verliebt ist voll daneben - Roman
elend zumute. In meinem Kopf gab es eine gewaltige Explosion, als ich Ruths Schreie im Ohr und Bilder von Simon und Ruth vor Augen hatte, wie sie sich beide nackt wanden. Den Bruchteil einer Sekunde überlegte
ich, tief durchzuatmen oder mich zu beruhigen. Aber die schlimmen Gedanken machten dieses Vorhaben zunichte, und ich legte auf. Und weil mir nichts Besseres einfiel, hüllte ich mich in einen der Wandbehänge, zog das Kapuzenshirt an und lief los, um mir ein Bild von der Party zu machen.
20
Ich ging nicht wirklich auf die Party. Dazu war mir mein Dschungel-Look dann doch zu peinlich. Ich schickte eine SMS an Rachel, und sie schrieb zurück, sie werde mir einen Martini besorgen und mich draußen auf der Terrasse treffen. Ich musste einfach überprüfen, ob Erin von Rachel nicht auf die schiefe Bahn gelockt worden war und jetzt womöglich mit ein paar Frauenhelden herummachte.
Ganz so schlimm war es nicht. Aber als die beiden sich mit mir trafen, bedauerte ich es doch, sie miteinander allein gelassen zu haben. Rachel war total aufgedreht, und Erin schwankte. Das konnte nur bedeuten, dass Rachel Erin betrunken gemacht hatte. Sie hatte ihr die Martinis mit Passionsfrucht als alkoholfrei verkauft, und Erin fand sie so köstlich, dass sie gar nicht genug davon hatte bekommen können. Oder Rachel hatte Erin beigebracht, wie man Männer rumkriegte. Und egal wen Rachel in die Kunst der Verführung einwies, ihr Konzept konnte einen das Fürchten lehren. An mir nagte der hässliche
Verdacht, dass Rachel erst zufrieden war, wenn Erins Predigervater seine Tochter mit einem brutalen Mann zwischen ihren Beinen auf dem Altar vorfände.
»Neeeiiin, neeiin, langsamer, jaaaaaaaaaaa, so ist’s gut, jetzt hast du’s raus.« Erin lernte, wie man verführerisch einen Drink mit dem Strohhalm trank. »Genau, arbeite dran. Denk immer an das Mantra: Wenn du nicht auf dich aufmerksam machst, wird dich keiner haben wollen. Gut … gut. So ist’s gut, mach langsam.«
»Und was ist, wenn man ihr gar keinen Strohhalm gibt?«, fragte ich. Fragen würde man ja wohl noch dürfen.
Rachel schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen. Also hielt ich den Mund und beobachtete Erin bei der Strohhalmfellatio.
»Also sie wird erst ganz viel an ihren Haaren und an ihrem Hals herumfummeln, wie wir das zuvor durchexerziert haben, danach sollte sie das hier machen.«
Rachel begann mit ihrem Finger die Konturen ihrer glänzenden Lippen nachzuzeichnen. »Es ist alles nur eine Frage von Lipgloss. Unmengen Lipgloss. Also umkreist du den Rand deiner Lippen ganz langsam, so etwa, und lässt dann deine Fingerspitze in deinen Mund gleiten, nämlich so.« Rachel begann an ihrem Finger zu saugen.
Man muss dazu sagen, dass Rachel eine versaute Blondine mit rauchiger Stimme ist, die ihren Bachelor in den Schlafzimmerkünsten gemacht hat. Wenn sie sanft an ihrem Finger nuckelt, sieht sie aus wie Christina Aguilera in einer Lippenstiftwerbung. Als die kleine Erin es versuchte, sah es aus, als säße ihr Ring an ihrem Finger fest, den sie auf diese Weise abzukriegen versuchte.
»Das Wichtigste ist jedoch«, fuhr Rachel fort und wischte ihren tropfenden Finger an meinem Wandbehangrock ab, »dass du so tust, als wärst du fasziniert von ihnen.«
»Äh … Rachel, das kannst du ihr doch nicht allen Ernstes empfehlen!«, würgte ich heraus. »Wir haben Tausende Jahre patriarchalischer Gesellschaft hinter uns, und du gibst ihr den Ratschlag, so zu tun, als ob sie die Männer faszinierend fände?«
»Was schlägst du stattdessen vor?«
»Sei du selbst.«
»Wie lange warst du Single, Sarah?«
»Miststück.«
»Niemals, unter gar keinen Umständen darfst du einfach du selbst sein«, sagte Rachel zu Erin und bedachte mich mit einem wütenden Schulleiterinnenblick. Sie wollte noch ein Schimpfwort hinterherschicken, doch eine hohe weibliche Stimme brachte sie zum Schweigen.
»Bist du die Engländerin?«
Rachel und ich wirbelten beide herum. Die schmeichlerische Stimme gehörte zu einer unterernährt aussehenden Frau in einem dieser Tops, die nur Keira Knightley tragen kann, weil sie aus nicht mehr als einem über den Busen drapierten Stofffetzen bestehen. Sie sah mich an.
»Ja.«
»Ich bin Chelsea«, kreischte sie.
Lieber hätte ich eine Symphonie aus Messern auf Tellern und Fingernägeln auf Schultafeln gehört.
»Und ich bin die Camden«, sagte ich und wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken, weil ich einen derart schlechten Scherz laut
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